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und nun kamen Kranke, absonderlich Lahme und Gichtbrüchige, von nah und ferne her, und suchten hier ihr Heil, und fanden es auch, denn die mit Krücken und auf Stelzbeinen gekommen waren, konnten ohne solche den Heilort verlassen, und hingen zum dankbaren Andenken und Wahrzeichen jene in dem Kirchlein auf, daher das Dorf, das sich nach und nach in der Quellnähe anbaute, den Namen Stelzen erhielt. Das dauerte eine lange Zeit und jedermann durfte das heilende Wasser umsonst trinken, bis der Geldteufel des Eigennutzes in die Bauern fuhr, und sie dachten, die Kranken könnten ja das Wasser bezahlen. Aus war es alsbald mit der Wunderkraft, das Wasser der Quelle sprudelte zwar fort und fort, aber es heilte nicht mehr, und statt daß wie ehedem alljährlich 300 bis 500 Grafen, Ritter und Herren, ohngerechnet das gemeine Volk, nach Stelzen gewallet waren, und in der Kapelle reichliche Spenden geopfert, kam bald keine Seele mehr. Aber selbst als die alte Kapelle einer spätern Pfarrkirche Raum gegeben hatte, fanden sich auf dem Boden der letzteren noch bis zum Jahre 1830 alte Stelzen, die von den Genesenen zurückgelassen worden waren. Im Altare der Kirche, so ging die Sage, sollte ein goldenes Hirschgeweih verborgen sein, allein selbiges hat sich nicht finden lassen. Im Uebrigen war die Kirche reich an Gut und Lehnschaften, und das Gehölz des Bleß, eines hohen Waldberges, gehörte ihr zu. Dieses Gehölz vornehmlich wird als das bezeichnet, in welchem die nächtliche Säge oder die Zwergensäge arbeitet.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)