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solches Fest uns nicht begehen! – Darauf aber fügte es Gott, daß ein Kindersterben unversehens sich anhub, und zwar mit so schrecklicher Gewalt, daß alle Kinder starben, fast in jedem Hause eine Leiche war und kaum Raum auf dem Kirchhofe für die zahllosen frischen Gräber. Da gab es Trauer in Fülle, herzzerbrechende, zermalmende Trauer, und Zug um Zug nach dem Gottesacker zu den offenen Gräberreihen. Und wie die Bevölkerung der ganzen Stadt droben stand auf dem Friedhof, und Millionen bittre Thränen flossen, da war es Nacht in allen Aelternherzen, und dann wurde es Nacht vor aller Augen, und die Kirche sank und der Kirchhof sank, und alle die Gräber und alle Särge und alle die Leidtragenden sanken tief, tief hinab, auf daß alle die Letzteren ruhen sollten bis zum Allerseelentage der Auferstehung. So ward die glückliche Stadt eine öde Stätte, und was von ihr übrig blieb, das wurden lauter Dörfer. Am Allerseelentage aber hört man in der Tiefe die Glocken der versunkenen Kirche läuten.


12.
Träumersdorf.

Oberhalb dem stillen Lautergrunde liegt ein Dorf, das in der Volkssprache der Gegend Trämersdorf genannt wird, Trämer aber heißt in jenem Idiom ein Träumer, und die örtliche Sage berichtet von dieses Dorfes Entstehung: Einst schritt ein Wanderer durch die weiten Fluren zwischen Eisfeld und Coburg, da noch gar wenig Ortschaften sich daselbst angebaut hatten, verirrte sich und fand nirgend

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)