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an, steht erst auf dem Steine, dann schreitet sie herab, umwandelt den Felsen, rasselt mit den Schlüsseln, und gebehrdet sich wie unsinnig. Daher ihr Name: „Die tolle Jungfer.“ Am „Schilderstein“ und im „Schildergraben“ hört man auch in den Hecken eine verwünschte Jungfer nießen, die noch nicht erlöst ist, weil noch Niemand die Geduld hatte, 12 mal hinter einander Gott helf zu sagen, ganz wie bei der Eisenacher Jungfer. (S. S. 113.) Und da seufzt die unerlöste ganz kläglich. Auf dem „Hausfelde“ tanzt im Herbst eine verwünschte Jungfer um zwei Haselbüsche. Andere sagen, eine weiße Frau lasse daselbst sich blicken und klenge Knotten in der Sonne.

Im Pachthofe des ehemaligen Wilhelmiter-Mönchs-Klosters Weissenborn im Ruhla-Thale, dessen Ländereien jetzt eine Domaine bilden, träumte einem Knechte von einem großen Schatze, der unter der Wohnung des Pachters im Stalle liege, einmal, zweimal, und endlich auch zum dritten Male. Da sprang der Knecht aus seinem Bette, und lief in den Stall. Da stand der Schatz zu Tage, eine große alte Urne voll Goldstücke. Schon streckte der Knecht die Hand aus, um hastig einzusacken, als er wahrnahm, daß etwas über ihm schwebe. Wie er aufblickte, sah er einen Mühlstein über seinem Haupte, der hing an einem dünnen Faden, und ein riesiger Mönch stand dabei, der stieß mit seinem Kopf an die Decke, hielt in der Hand eine große Scheere und setzte sie gerade an, um den Faden durchzuschneiden. Da that der Knecht einen lauten Blök, und sprang nach der Thüre. Gleich war der Mann mit der Scheere verschwunden sammt dem schwebenden Mühlstein, aber auch der Schatz war weg.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/235&oldid=- (Version vom 1.8.2018)