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und war nichts geringeres, als daß an einem Wintertage des Jahres 1227 auf 1228 die bisherige Herrin des Thüringer Landes, die Tochter eines Königes, die mildthätigste, untadelhafteste Frau, die treueste Gattin, die zärtlichste Mutter ihrer Kinder, sammt diesen Kindern ihr hochprangendes Schloß verließ, herunter nach Eisenach wandelte, und in dieser Stadt von allen Häusern, wo sie Obdach suchte, mit Härte, Strenge oder Furcht vor dem neuen Herrn abgewiesen, herumirren und endlich mit einem elenden Schoppen, in der Rolle, und da in der Nähe eines Schweinekofens, vorlieb nehmen mußte. Aber groß und herrlich in ihrer tiefsten Erniedrigung ging Elisabeth um Mitternacht in die Klosterkirche der Barfüßer Mönche und bat dieselben, ein Tedeum anzustimmen, daß Gott sie also heimsuche. Wie stolz war der Wirth zum Hellegrafenhofe einst gewesen, als sein Haus der Ehre gewürdigt ward, das Königskind von Ungarn aufzunehmen, und zu übernachten, das er jetzt derselben Elisabeth verschloß. Auch ärntete sie in vollem Maaße den Dank, der einem unbegrenzten Wohlthätigkeitstriebe zu Theil wird. Keine Seele von alle den Hungerern und Lungerern, Faullenzern und bettelnden Tagedieben Eisenachs, die sie vielleicht mit ihren Spenden erst verwöhnt, regte auch nur eine Hand für die herabgewürdigte Herrin, und für den jungen Herrn, den geborenen rechtmäßigen Landgrafen von Thüringen. Elisabeth wandelte von der Rolle aus am Markte beim Eingange in die Messerschmiedegasse über den Löbersbach, wo man über diesen kothigen Graben nur auf schmalen Schrittsteinen gelangen konnte, da begegnete ihr ein altes nichtswürdiges Bettelweib, dem die milde Almosenspenderin oft genug die Hände und den Mund gefüllt, das wich ihr

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/187&oldid=- (Version vom 1.8.2018)