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Landgraf Ludwig sollte nach dem Willen seines kaiserlichen Herrn als Oberbefehlshaber und Feldherr des ganzen Kreuzheeres im heiligen Lande auftreten und wirksam sein, aber anders war es verhängt im Rathe Gottes, denn Ludwig sahe weder das heilige Land, noch jemals seine Heimath und die Seinen wieder. Er erkrankte auf der Insel Otranto und jählings stieß ihm die Krankheit zu und wurde heftiger und heftiger. Da sahe er das Gemach, darin er lag, voll schneeweißer Tauben, die von allen Seiten sein Bette umflogen, und er sprach zu denen, die um ihn waren von den Seinen: Sehet ihr nicht die große Menge dieser schneeweißen Tauben? – Und nach einer Weile begann er wieder: Ich muß und will von hinnen mit diesen schneeweißen Tauben. Und als er diese Worte gesprochen hatte, da gab er seinen Geist auf und schlummerte hinüber in die göttliche Ruhe. Einer von Ludwigs Kaplanen aber sahe am Himmel einen Flug weißer Tauben sich gen Aufgang wenden, darunter war eine wunderschöne weiß glänzende Taube, der heilige Geist. – Dieser führte des frommen Landgrafen Seele von hinnen, und es entstand großes und schmerzliches Wehklagen unter seinen zurückgelassenen Lehenträgern und zumal unter seinen Dienern. Und wurde eine Sage, der Landgraf habe einen „vergifteten Trunk“ gethan, doch ist das nicht zu verstehen im heutigen Sinne, daß ihn jemand absichtlich mit Gift vergeben, sondern man nannte im Mittelalter alles, was schädlich wirkte, vergiftet, und so konnte ein jäher Trunk des reinsten kalten Wassers als vergiftet bezeichnet werden. Und war der edle Fürst, den man ob seines tugendreichen Wandels, ob seiner Frömmigkeit, Gerechtigkeit und Milde später den Heiligen nannte, obwohl kein Papst

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/185&oldid=- (Version vom 1.8.2018)