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einen äußerst schmalen und langen, dabei aber sehr hohen Gang, den ein Bergwasser durchfließt. Die Breite ist von 2 bis 8 Fuß, die Höhe gegen 20 Fuß, die Länge wol 600 Schritte, und die Wände sind mit Tropfstein überzogen.

In dieser Höhle wohnten nach der Umwohner Erzählung Zwerge oder Zinslein, die verliehen ihr den Namen, wie auch einer andern benachbarten Grotte, welche vom Volke die Zinselkirche genannt wird; jetzt aber giebt es keine Zinselein mehr, sie sind alle längst hinweggezogen, und zwar aus dieser Ursache: Ein Meschenbacher Bauer traf auf seinem Erbsenacker einen ganzen Haufen Zinselchen. Sie machten sich sehr lustig, sprangen und hüpften durcheinander über die Furchen, und verspeisten viele Schoten. Das ärgerte den Bauer und er haschte nach ihnen, konnte aber ihrer keines festhalten, nur das Mützchen des einen ergriff er und hielt es fest. Da stellte sich das Zinslein überaus kläglich und bat flehentlich um das Mützchen, da es ohne selbiges nicht nach Hause kommen konnte und durfte. Es wolle dem Bauer auch zum Lohne seiner Güte eine Wünschelruthe auf den Acker stecken, mit deren Hülfe er einen großen Schatz finden sollte. Darauf gab der Bauer das Mützchen zurück, nicht wissend, daß er schon den besten Schatz in der Hand hatte, denn wer ein Zwergenmützchen oder Nebelkäpplein besitzt, der kann sich jederzeit unsichtbar machen. Das Zwerglein nahm rasch sein Mützchen, setzte es auf, und war augenblicklich dem Auge des Bauers entrückt. Als nun der Bauer auf seinen Acker kam, stak nicht eine Ruthe darauf, sondern alles voll Ruthen; nun suche einer die richtige Wünschelruthe heraus! Am zweiten Tage aber war schon aus jeder Ruthe ein starker Baum

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)