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Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2

schuldig als ihnen! Kinder, dö so zur Welt kommen, ohne daß’s oft Vater und Mutter wissen, sein doch recht traurig dran; sie machen niemand so a herzliche Freud, wenn s’ brav sein, und kein Herzleid, das s’ ihnern Liebsten antun könnten, bringt s’ vom Bösen ab – und nachher wundert sich d’ Welt, wenn s’ keine rechten Leut werdn!

Hell. Das denkst du fromm und klug!

Annerl (sieht zu Boden). Wie d’ mich aufgnommen hast, hochwürdiger Herr, hast mich brav gheißen, jetzt nennst mich klug – wann d’ mir noch eins sagst, so hast mir alle guten Wort gebn wie deiner Schwester selig.

Hell (faßt ihre Hand). Wie meiner Schwester? Ja, ganz recht, brav, klug und schön. Regt sich doch die Eitelkeit ein wenig bei dir?

Annerl (hebt den Kopf). Na, ich bin gwiß net eitel.

Hell. Ich habe doch eine kleine Eitelkeit an dir bemerkt.

Annerl. O mein Gott! – Sag’s, hochwürdiger Herr, ich werd’s gwiß nimmer blicken lassen.

Hell. Neulich, als du mein Zimmer in Ordnung brachtest, lag auf meinem Sekretär ein Kreuzchen mit einer Kette; du hattest es in die Hand genommen – ich habe deine Gedanken wohl erraten, wenn ich meine, daß du es für dein Leben gern gehabt hättest.

Annerl (leise). Ja, hochwürdiger Herr, weil – weil alle Dirndln da um Kirchfeld solchene Kreuzeln tragn.

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Ludwig Anzengruber: Der Pfarrer von Kirchfeld. Aus: Ludwig Anzengrubers sämtliche Werke. Band 2. Wien 1922, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Anzengrubers_s%C3%A4mtliche_Werke_II_052.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)