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granit verlangt viel arbeit, um ihn dem berge zu entreißen, viel arbeit, ihn nach seinem bestimmungsort zu bringen, arbeit, ihm die richtige form zu geben, arbeit, ihm durch schleifen und polieren das gefällige aussehen zu verleihen. Vor der polierten granitwand wird unser herz dann in ehrfurchtsvollem schauer erbeben. Vor dem material? Nein, vor der menschlichen arbeit.

Also wäre der granit doch wertvoller als der mörtel? Das ist damit noch nicht gesagt. Denn eine wand mit einer stuckdekoration von der hand Michelangelos wird auch die bestpolierte granitmauer in den schatten stellen. Nicht nur die quantität, sondern auch die qualität der arbeitsleistung ist für den wert eines gegenstandes mitbestimmend.

Wir leben in einer zeit, die der quantität der arbeit den vorzug gibt. Denn die läßt sich leicht kontrollieren, ist für jedermann sofort auffällig und erfordert keinen geübten blick oder sonstige kenntnisse. Da gibt es keine irrtümer. Soundsoviel taglöhner haben soundsoviel stunden zu soundsoviel kreuzern an einer sache gearbeitet. Das kann sich jedermann ausrechnen. Und man will jedermann den wert der dinge, mit denen man sich umgibt, leicht verständlich machen. Sonst hätten sie ja keinen zweck. Da müssen dann jene stoffe angesehener sein, die eine längere arbeitszeit erfordern.

Das war nicht immer so. Früher baute man mit den materialien, die einem am leichtesten erreichbar waren. In manchen gegenden mit backstein, in manchen mit stein, in manchen wurde die mauer mit mörtel überzogen. Die so bauten, kamen sich wohl neben den steinarchitekten nicht ganz vollwertig vor? Ja weshalb denn? So etwas fiel niemandem ein. Hätte man steinbrüche in der

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Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)