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verabscheut es. Alle gegenstände, die wir modern nennen, haben kein ornament. Unsere kleidung, unsere maschinen, unsere lederwaren und alle gegenstände des täglichen gebrauches haben nach der französischen revolution kein ornament mehr. Bis auf die dinge, die der frau gehören – das ist aber ein anderes kapitel.

Ornamente haben nur jene gegenstände, die von einem teil der menschheit – ich nenne ihn den kulturlosen teil – abhängig sind: von den architekten. Wo immer gebrauchsgegenstände unter dem einfluß von architekten hergestellt werden, sind diese gegenstände unzeitgemäß, also unmodern. Das gilt selbstverständlich auch von den modernen architekten.

Der einzelne mensch ist unfähig, eine form zu schaffen, also auch der architekt. Der architekt versucht aber dieses unmögliche immer und immer wieder – und immer mit negativem erfolg. Form oder ornament sind das resultat unbewußter gesamtarbeit der menschen eines ganzen kulturkreises. Alles andere ist kunst. Kunst ist der eigenwille des genius. Gott gab ihm den auftrag dazu.

Kunst an den gebrauchsgegenstand zu verschwenden, ist unkultur. Ornament bedeutet mehrarbeit. Der sadismus des achtzehnten jahrhunderts, seinen mitmenschen überflüssige arbeit aufzubürden, ist dem modernen menschen fremd, noch fremder ist ihm das ornament der primitiven völker, das durchwegs religiöse, erotisch-symbolische bedeutung hat und dank seiner primitivität an kunst grenzt.

Ornamentlosigkeit ist nicht reizlosigkeit, sondern wirkt als neuer reiz, belebt. Die mühle, die nicht klappert, weckt den müller.

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 393. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/395&oldid=- (Version vom 1.8.2018)