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übernehmen? Allerdings können wir ihnen für die aufführung nur ein stehparterre-entrée bezahlen. Lassen sie sich aus der kasse einen dollar und fünfzig cents ausfolgen. Morgen ist saisoneröffnung. Wir erwarten bis spätestens ein uhr nachts den bericht.“

Ich ging. Der kassier zahlte mir den dollar und die fünfzig cents aus. Mir war etwas bange geworden. Die Sache schien mir nicht recht geheuer. Ich begab mich sofort in das café Manhattan und studierte die musikberichte sämtlicher blätter. Ich sah bald: hauptsache sind die fachausdrücke. Das imponiert. Es-dur, dreigestrichenes C, kontrapunkt, dynamik, crescendo. Nach drei stunden wußte ich genug. Ruhig sah ich dem morgigen tag entgegen.

Ein bekannter war am nebentisch aufgestanden, zahlte und zog den rock an. Wir begrüßten uns. „Wie gehts? – wohin?“ – „In die Metropolitan-oper?“ – „Was dort?“ – „Ich bin wohlbestallter statist an diesem kunstinstitut. Ja, was wollen sie, in Amerika muß man ergreifen, was sich einem bietet.“

Die entschuldigung erfolgte wohl, weil ich ein etwas merkwürdiges gesicht machte. Dieses merkwürdige gesicht rührte aber von einem ganz anderen gedanken her. Wie wäre es, kalkulierte ich, wenn ich mich diesem manne anschlösse? Ich könnte dann ein- und einen halben dollar ersparen und doch die vorstellung mitmachen. Und dann: statieren dürfen, wer wollte das nicht?!

Ich sagte daher: „Sie irren, lieber freund, ich finde ihren beruf im gegenteil beneidenswert. Sie scheinen nicht zu wissen, daß ich zehn jahre der komparserie der wiener hofoper angehört habe. Das ist ja gerade mein fach! Würden sie mich nicht mitnehmen?“

Empfohlene Zitierweise:
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 196. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/195&oldid=- (Version vom 1.8.2018)