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Ein Liebeslied.

Vor meinem Fenster sitzt ein Spatz und sagt in einem Ende: „Schilp, schelp, schilp, schelp.“

Zweimal habe ich ihn schon fortgejagt, denn das ewige Geschilpe und Geschelpe störte mich; aber er kommt immer wieder und sagt das einzige Lied, das er auswendig kann, auf.

Gestern war er auch schon da und vorgestern desgleichen, und morgen wird er ebenfalls da sein und übermorgen erst recht, und er wird da sitzen und schilpen den einen wie den anderen Tag, bis er seinen Zweck erreicht hat und eine Spatzenfrau sein eigen nennt.

Denn darauf läuft die ganze Geschichte hinaus. Mit Speck fängt man Mäuse und mit Schilp und Schelp Spatzenfrauen. Man sollte es nicht glauben, aber es ist so. Diesen beiden langweiligen und keineswegs stimmungsvollen Tönen kann auf die Dauer kein Spatzenweibchen widerstehen.

Ich weiß nicht, ob es ein Buch über das Liebeslied gibt; aber ich weiß, wenn es geschrieben wird, so muß es mit Schilp und Schelp beginnen, will es Anspruch auf Gründlichkeit machen. Wenn es mit dem Gesang der Nachtigall anfängt, so beweist der Verfasser, daß er keine Ahnung von dem Wesen des Liebesliedes hat, daß er von persönlichen Empfindungen und nicht von allgemeinen Gesichtspunkten ausgeht.

Denn der Begriff des Liebesliedes hat mit Schönheit, Kunst und Ästhetik nicht das Mindeste zu tun. Sänge mein Fensterspatz wie eine Nachtigall, eine Lerche oder eine Märzdrossel,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)