Seite:Loens Der zweckmaessige Meyer.pdf/124

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Ich drehte so lange an der Mikrometerschraube meines Sehnervs, bis ich ihn auf besagtes Geschöpf eingestellt hatte und erkannte, daß es eine Bücherlaus war. Anfangs dachte ich, es sei eine junge Atropos, dann aber stellte ich fest, daß es ein uralter Troctes war, denn es war fast einen ganzen Millimeter lang und hatte den lichten Elfenbeinton der Jugend bereits mit der Zigarrenkistenfarbe des Alters vertauscht. Ruhig und besonnen ging es auf der schwarz in schwarz gemaserten Holzplatte seiner Nahrung nach, führte sich zuerst einen Influenzabazillus zu Gemüte, nahm dann drei Schnupfenerreger zu sich und beschloß seine Mahlzeit mit dem Coccus der Zahnwurzelhautentzündung, worauf es sich mit den Vorderfüßen die Mandibeln putzte und sich dann der Verdauung hingab und träumerisch den Sonnenstäubchen lauschte, die munter auf- und abflogen und lustig dabei summten und säuselten.

Wie es kam, weiß ich nicht, aber mit einem Male war ich wieder zwanzig Jahre alt. Das war eine schöne Zeit. Ich dachte bloß an Holz- und Bücherläuse und schätzte junge Mädchen nur, wenn sie diesen Tieren, die ich als rücksichtsvoller junger Mann in Damengesellschaft Psociden nannte, genügend Verständnis entgegenbrachten. Ich hatte früher Goethe und Bismarck sehr verehrt; als ich aber in ihren Schriften nicht das geringste Anzeichen dafür fand, daß sie den Holzläusen Beachtung geschenkt hatten, setzte ich diese Männer in mir ab und erhöhte vor meiner Seele die wie Mac Lachlan, de Selys-Longchamps, Brauer, Rostock, Stephens, Bertkau und Hagen aus diesen Tieren ein Sonderstudium gemacht hatten, und als ich H. J. Kolbe kennen lernte, erstarb ich in Ehrfurcht, denn er hatte ein Dutzend unbeschriebener Arten entdeckt und die Monographie der deutschen Psociden geschrieben, ein Werk, das ich für den Gipfel der Weltliteratur hielt. Fünf Jahre lang sammelte, studierte und bestimmte ich Holzläuse und fand das reinste Glück bei dieser Beschäftigung, und

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/124&oldid=- (Version vom 1.8.2018)