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stellten Manne. Der Leser versetzte sich nun aber in die Lage der Leute aus der Arbeiterbevölkerung, der die Mehrzahl der vernommenen Zeugen angehört.

Wie ist es diesen Leuten ergangen?

,,Was Sie da sagen, das ist Quatsch," war eine Redensart, die mancher Zeuge sich gefallen lassen mußte.

Wie es der Zeugin Frau Borchardt ergangen ist, kann auf Seite 16 nachgelesen werden.

Durch diese Form der Zeugen-Vernehmungen, von der die Kunde bald wie ein Lauffeuer unter der Bevölkerung sich verbreitete, ist wahrscheinlich mancher wichtige Zeuge abgehalten worden, sich zu melden. – – Ein Beispiel dafür bietet die im Masloff-Prozesse auf Antrag der Verteidigung geladene Zeugin St., die eine wichtige Wahrnehmung über das Verschleppen des Armes bekundete. Auf die Frage des Vorsitzenden, weshalb sie sich nicht früher gemeldet habe, erklärte sie: ,,Es sei in Konitz allgemein verbreitet, daß jeder Zeuge, der etwas gegen die Juden aussage, auf der Polizei und vor Gericht schlecht behandelt werde." Welchen Wert haben denn überhaupt Zeugen-Vernehmungen, wobei der Beamte nur das von dem Gesagten aufzunehmen sich für verflichtet hält, was er allein von seinem Standpunkte aus für erheblich erachtet?

In offiziellen Artikeln des anfänglich sehr judenfreundlichen Konitzer Lokalblattes wurde sogar dem Publikum in geschickter Weise zu verstehen gegeben, daß die vielen Meldungen und Anzeigen nur der Behörde die Arbeit erschwerten und die Hauptschuld daran trügen, daß noch nichts entdeckt worden sei.

Sobald ein Christ über einen Juden etwas Nachteiliges aussagte, wurde meistens auch der betreffende Jude als Zeuge vorgeladen. Natürlich erklärte dieser dann, daß das von dem Christen Gesagte unwahr sei, und mußte seine Aussage auch beschwören. Dann war der Konflikt da und eine Anklage auf Meineid gegen den Christen oft die Folge.

Wie schon eingangs dieser Schrift erwähnt wurde, hat der Herr Kommissar Wehn sehr emsig in sog. ,,Aufklärungen" gearbeitet. Dieser eifrige Beamte verfolgte wohl jede Spur, die sich zeigte. Es ist aber bei fast jedem auf einen Juden hindeutenden Verdachtsgrunde seinem Scharfsinn auch gelungen, die Unerheblichkeit oder Unrichtigkeit desselben nachzuweisen. Bald waren es Widersprüche in den Aussagen, bald war der Zeuge vorbestraft, bald war er ein Trunkenbold, bald wenigstens zur Zeit der Wahrnehmung betrunken gewesen, bald hatte er früher einmal Drohungen gegen Juden ausgestoßen. [1]

Als gar noch die hohe Belohnung von 20000 Mark auf die Entdeckung der Mörder vom Staate ausgesetzt war, da galt jeder christliche Zeuge an sich als verdächtig, da es ihm bloß um die Erlangung der hohen Summe zu thun sei.

Bis zum Zeitpunkte der Einreichung der Hoffmannschen Verteidigungsschrift (Anfang Juni 1900) befand sich der Schwerpunkt

  1. Das erinnert an die Anklage gegen den Schlächter Behrend in dem Prozesse von Skurz. Vergl. die Glagausche Schrift „Der Mord in Skurz vor Gericht“.
Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p067.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)