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Häuser gehen und nachsuchen. Die Bestimmungen über das Hausrecht waren dem Herrn Bürgermeister bei seiner Antwort wohl nicht ganz gegenwärtig. Die Auffindung einiger Körperteile ist aber thatsächlich dem freiwilligen Eingreifen der Hundebesitzer zu verdanken. Daß wir Herrn Deditius, den Gerichtsbehörden und den Berliner Kriminalbeamten nicht Unrecht thun, wenn wir die Art und Weise, wie sie die Haussuchungen angeordnet und durchgeführt haben, als ganz unpraktisch und zweckwidrig bezeichnen, wird unwiderleglich durch die Kleiderfunde im Januar 1901 beweisen. – Zehn Monate lang haben die Mörder und ihre Helfershelfer die Kleider des Opfers, die sie wohl aus abergläubischen Beweggründen nicht vernichten oder fortschaffen durften, in den Mauern der kleinen Stadt verborgen gehalten und schleudern sie dann plötzlich binnen sechs Tagen den Untersuchungs-Behörden förmlich ins Gesicht. - Kann man sich einen blutigeren Hohn denken?

Und nun, nachdem die Wahrscheinlichkeit, noch etwas zu finden außerordentlich vermindert war, werden noch einmal Haussuchungen unter Aufbietung eines großen Apparates von Kriminalbeamten aus Berlin und Danzig abgehalten, bei Juden und Christen ohne Ansehen der Personen, bei evangelischen Schulschwestern, Lehrern, Geschäfts- und Privatleuten. Man durchsuchte aus Genaueste die Straßen in der Nähe des Mönchsees, wo in kleinen Häusern fünf bis sechs arme Familien zusammengedrängt wohnen und wo jeder Hausbewohner genau jedes Stück des beweglichen Eigentums der anderen Bewohner kennt. – Man suchte und suchte – und fand nichts, denn man hatte sich wieder von vorneherein jeder Wahrscheinlichkeit beraubt, etwas zu finden.

Nicht an einem Tage unter Absperrung der Stadt durch das Wachtkommando und gleichzeitig an verschiedenen Enden der Stadt beginnend, fanden die Durchsuchungen statt – jeder ehrliche Konitzer Bürger würde mit Freuden die daraus entstandenen Unbequemlichkeiten auf sich genommen haben –, sondern man suchte tagelang, bei völlig ungehemmtem Verkehr, und aus den Bierstuben- und Straßengesprächen konnte jedermann erfahren, wo am nächsten Tage gesucht werden würde. Wenn wirklich noch Beweisstücke für den Mord sich in der Stadt befunden haben sollten, so hätten die Mordgesellen damit verfahren können wie in dem Gesellschaftsspiele: Dieser Thaler der muß wandern, von dem Einem zu dem Anderen.

Im Gegensatz zu seiner Thätigkeit gleich nach dem Morde entwickelte aber Herr Deditius große Schneidigkeit bei Unterdrückung der Unruhen, die nach der vorläufigen Festnahme des Herrn Hoffmann in Konitz ausbrachen. Eigenhändig hat er sogar junge, wegen Beteiligung an den Unruhen verhaftete Leute im Polizeigebäude geschlagen. –

Ein weiterer Grund, daß nichts herausgekommen ist, liegt in der Behandlung der Zeugen, die sich gleich nach Entdeckung des Mordes freiwillig oder später infolge der öffentlichen Bekanntmachungen der Behörden meldeten. Auch hierbei fordert das Verhalten des Herrn Bürgermeisters Deditius und des inzwischen eingetroffenen Herrn Polizei-Kommissars Wehn die Kritik heraus.

Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p065.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)