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Wahrnehmungen in der Mordnacht nach Lage der Oertlichkeit objektiv nicht möglich seien, weil er bei seinen mannigfachen Vernehmungen in Widersprüche sich verwickelt habe, und endlich weil er bei seiner Vernehmung vor dem Amtsrichter Pankau nicht seine ganze Wissenschaft mitgeteilt, sondern den mit dem Fleischdiebstahl zusammenhängenden Schluß derselben verschwiegen habe.

Bis auf den letzten Punkt klärte sich aber alles zu Gunsten des Angeklagten Masloff auf. Die örtliche Besichtigung in Gegenwart der Geschworenen, eine am Tage und eine bei Nacht, ergab, daß die von Masloff bekundeten Wahrnehmungen objektiv sehr wohl möglich waren (einzig und allein der Untersuchungsrichter Zimmermann und die Herren Wehn und Braun konnten sich davon nicht überzeugen). Die angeblichen Widersprüche lösten sich als verschiedenartige Auffassungen der vernehmenden Beamten auf.

Der schließlich von den Geschworenen abgegebene Spruch hat der jüdischen Presse Anlaß zu Verdunkelungen geboten, und deshalb soll versucht werden, ihn in seinen einzelnen Teilen zu beleuchten:

  1. Der Schwerpunkt der ganzen Sache beruhte auf der Frage, ob Masloff bei seiner sehr ausführlichen und erschöpfenden Aussage (siehe Seite 37 ff.) vor dem Landrichter Dr. Zimmermann einen Meineid geleistet hat. Diese Frage haben die Geschworenen verneint und zwar einstimmig verneint, wie dem Herausgeber dieser Schrift von zuverlässiger Seite mitgeteilt worden ist.
  2. Die Frage, ob Masloff bei seiner ersten Vernehmung vor dem Amtsrichter Pankau seine Eidespflicht insofern verletzt, weil er einen Teil seiner Wissenschaft damals verschwiegen habe, ist von den Geschworenen bejaht, mit gleichzeitiger Bejahung des mildernden Umstandes aus §157 des Strafgesetzbuches, daß Masloff bei Abgabe einer vollständigen Aussage Gefahr lief, sich selbst einer strafbaren Handlung (des Fleischdiebstahls) zu bezichtigen.
  3. Bei der Frau Roß, die, neben manchen unbedingt richtigen Bekundungen, in einigen Punkten offenbar bei der Wahrheit nicht geblieben war, haben die Geschworenen die Schuldfrage bejaht.
  4. Die beiden Frauen Masloff und Berg wurden freigesprochen.

Nachdem der Gerichtshof den Masloff zu einem Jahre Zuchthaus verurteilt hatte, reichten die Geschworenen ein Gnadengesuch an Se. Majestät den Kaiser und König ein, worin sie bitten, die Zuchthausstrafe in eine Gefängnisstrafe umzuwandeln, da diese Art der erkannten Strafe weder im Verhältnis stehe mit der Verfehlung des Masloff, noch mit den Ansichten der Geschworenen, die sie mit ihrem Spruche zum Ausdruck bringen wollten, zumal sie dem Masloff in allen seinen Behauptungen vollen Glauben geschenkt hätten

Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p058.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)