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Die Mörder sind von allen Seiten nach Konitz gekommen. Aus Rußland kam ein Jude über Strasburg (Westpr.). Der Reiseweg mehrerer anderer russischer Juden ist noch nicht bekannt geworden. Außerdem fanden sich eine Anzahl jüdischer Schächter aus verschiedenen Städten Westpreußens und Posens ein. Aus der pommerschen Stadt Polzin erschien ein jüdischer Mann, aus der Stadt Konitz und dem Dorfe Prechlau waren auch einige Juden dabei. Die russischen Juden waren ebenfalls Schächter oder gar Kultusbeamte. Besonders ist ein Mann aufgefallen, der hinkte und Pockennarben im Gesicht hatte. Er schien nach den Ehrenbezeugungen, die ihm von anderen Juden erwiesen wurden, eine Leuchte in Israel zu sein.[1]

Schon von Sonnabend Abend ab hat ein Teil der Mörder sich unauffällig durch die beiden Eingänge im Lewyschen Hause eingefunden und auf das Erscheinen des menschlichen Schlachtopfers gelauert. Drei junge Leute gingen nicht in die Falle: nur der Gymnasiast Winter, den die den Mord vorbereitenden Personen schon seit Monaten im Auge gehabt hatten, betrat das Lewysche Haus am Sonntag etwa um 6 Uhr abends und wurde von den lauernden Mördern überfallen und überwältigt.

Er hat sich dabei kräftig gewehrt, und es haben wohl sechs Mann zu thun gehabt, um mit ihm fertig zu werden. Am Schreien hinderte man ihn durch sofort übergeworfene Tücher. Einem der Mörder ist bei dem Kampfe ein Teil des Bartes ausgerissen, einem anderen das Unterfutter seines Rockes zerrissen worden.

Der Kampf mit den Mördern, die Fesselung und Behandlung bis zum Abschlachten haben aber in dem Körper des Ermordeten eine derartige Aufregung und Lähmung hervorgebracht, daß die Organe nicht mehr in üblicher Weise funktionieren konnten und namentlich die Verdauungsthätigkeit von dem Momente aufgehört hat, wo die Mörder ihn ergriffen und knebelten.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Winter nicht sofort getötet, sondern im geknebelten Zustande bis zu der erst etwas später vorgenommenen rituellen Abschlachtung, zu der sich alle Mörder in der Dunkelheit des Abends im Lewyschen Hause einfanden, aufbewahrt worden.

Zu dem Akte selbst ist Winter, mit dem Kopfe nach unten, an den Füßen aufgehängt (wodurch die Speisereste seines Magens durch die Speiseröhre bis dicht an die Kehle gefördert sind), und dann ist das Abschächten vor sich gegangen. Der Schächter hat mit einem Messer den Hals und die Halsadern unmittelbar am Rumpf durchschnitten.

Das ausströmende Blut ist in einem Gefäße (Kessel) aufgefangen worden.

Nachdem das Blut vollständig aus dem Körper ausgelaufen war,[2] haben die Mörder, genau wie es mit den Schächttieren


  1. Eine ähnlich aussehende Persönlichkeit ist auch in dem Prozeß gegen Hilsner in Polna erwähnt worden.
  2. Wir haben uns über diesen Punkt Aufklärung von dem Sachverständigen erbeten, dessen Urteil wohl in Konitz am maßgebendsten sein dürfte. Der Leiter des dortigen Schlachthauses, wo jährlich im Durchschnitt zehntausend Stück Vieh teils geschlachtet, teils geschächtet werden, der also in zehnjähriger Amtsführung an etwa hunderttausend Tierkörpern die Wirkung des Schlachtens und des Schächtens hat praktisch wahrnehmen können, sagte uns, er habe noch niemals ein Stück Fleisch so rein ausgeblutet gesehen wie die Winterschen Leichenteile.
Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p047.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)