Christen beabsichtigten Schlag zu verhindern. Ein jeder der Tausenden von ernsthaften Männern, welche die Straßen und Plätze erfüllten, war sich bewußt, daß er ebenso gut, wie ich heute, schon morgen vor den Herrn Braun als Mörder hingestellt werden konnte. Offen ward den Gendarmen entgegengerufen: ,,Unsere Kinder schlachten die Juden, unsere Gräber schänden die Juden, und jetzt sollen noch mehr Christen totgeschlagen werden!" Ruhig stellten die Verheirateten sich vor die Gendarmen hin und forderten sie auf, auf sie loszuschlagen. So kann nur ein Volk sich verhalten, welches aus innerster Ueberzeugung von meiner Unschuld durchdrungen ist und die Ungeheuerlichkeit, mich als einen Mörder hinzustellen, tief empfindet."
Die gewaltsame Auflehnung ist natürlich in keiner Weise zu billigen. Sie hätte auch, wenn der Wille zur That geworden wäre, für die Beteiligen sehr üble Folgen nach sich ziehen müssen; aber erklärlich ist ein solches Aufbäumen der Volksseele in außerordentlichen Lagen! Die Behauptung des Herrn Braun, daß die Bevölkerung selbst den Fleischermeister Hoffmann als den Mörder des Winter bezeichnet habe, wird durch den eben geschilderten Vorfall aufs schlagendste widerlegt. Fast allein die Juden haben auf die Familie Hoffmann hingewiesen. Die wenigen Judengenossen die gleiches thaten, lassen sich in einer Minute aufzählen.
Angeführt sei an dieser Stelle noch die Ansicht der Familie des Ermordeten. Dieser war ein namensloses Schreiben zugegangen, worin Herr Hoffmann als der Mörder hingestellt wurde. Den Brief sendete die Familie Winter direkt an Hoffmann ein, mit folgendem Begleitschreiben:
,,Sehr geehrter Herr Hoffmann!
Hochachtungsvoll
Familie Winter."
Wie schon mitgeteilt, wurde von dem Herrn Polizei-Inspektor Braun eine förmliche Anklageschrift gegen Hoffmann ausgearbeitet, die die Grundlage der eröffneten Voruntersuchung bildete. Punkt für Punkt hat das Gericht die Braunschen Anklagen durchgenommen und die Beweise erhoben. Ueberall stellte sich die vollständige Haltlosigkeit der Braunschen Anklage heraus. Am 30. Juni schloß
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p030.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)