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mehreren Personen ausgeführten Mord handelt, auch ein Mitschuldiger beauftragt gewesen sein, den Schrei dort auszustoßen.*)[1]

Nun haben sich aber weder Frl. Anna Hoffmann noch Herr Hoffmann zu jener Zeit in oder bei dem Schuppen befunden. Herr Hoffmann hatte auch keine Veranlassung, seine Tochter Anna zu suchen, da sie sich in der Wohnung befand; er hätte auch gar nicht auf den Gedanken kommen können, seine Tochter in dem Bretterschuppen zu suchen, weil der Schlüssel dazu in seinen Händen war. Die kalte Witterung des März-Abends war zudem nicht gerade zu einem zärtlichen Tete-á-Tete in einem Bretterschuppen mit fingerbreiten Spalten besonders einladend. Der Schuppen befindet sich gegen zweihundert Schritte von dem Hoffmannschen Hause entfernt. - Der Halsstich, den Herr Hoffmann dem Winter nach der Annahme des Herrn Braun versetzt haben soll, widerspricht aber auch dem ärztlichen Befunde, wonach der Hals wagerecht unmittelbar über dem Rumpfe abgeschnitten worden ist. Einen Stich hat Winter in keiner Weise bekommen. Er ist vielmehr von mehreren Personen festgehalten oder vorher gefesselt worden, während eine Person ihm den Hals durchschnitt. Herr Braun mußte diese Thatsachen aus den Akten ersehen; er mußte ferner aus den Akten entnehmen, wo und mit welchen Personen zusammen die Familie Hoffmann am 11. März sich befunden hat. In seiner Verteidungsschrift sagt Herr Hoffmann darüber:

,,Ich mit meiner Familie gehöre der evangelisch-lutherischen Religionsgemeinschaft an. Am Sonntag, den 11. März, hatten die Mitglieder derselben sich in Konitz zum Gottesdienst versammelt. Bei mir waren abgestiegen: Der Prediger Reymann aus Schneidemühl, der Amtsvorsteher Fengler aus Buchholz mit seiner Cousine Frl. Fengler. Beim Gottesdienst vorm. 10 - 11 Uhr und nachm. 3 - 4 Uhr waren wir alle in der Kirche. Nach dem Nachmittags-Gottesdienst begaben wir uns alle, darunter ich und meine Tochter Anna, in die Wohnung des Fleischermeisters Ziebarth in der Schlochauerstraße zum Kaffee, was bis nach 6 Uhr andauerte, zu welcher Zeit die Auswärtigen mit der Bahn abfahren mussten. Der

  1. An den Schrei anknüpfend, haben urteilsfähige Leute in Konitz, die alle Begleit-Umstände genau kennen, sich folgende Möglichkeit des Verlaufes der Mordthat konstruiert, die wir zwar nicht als wahrscheinlich ansehen, aber doch hier erwähnen wollen. Danach sei Ernst Winter zu einem Rendezvous in dem jüdischen Waschhause (nahe bei dem Hoffmanschen Schuppen gelegen und später abgebrannt. Vergl. das umstehende Bild) eingeladen gewesen. Er habe die Zeit von 5 1/2 bis gegen 7 Uhr in einer jüdischen Familie verbracht und sei deshalb nicht mehr gesehen worden. Um 7 Uhr habe er sich aus der Gesellschaft entfernt und sei im Schatten der Gebäude an der Rhämgasse nach dem Waschause gegangen. Dort habe ihn ein in Frauentracht verkleideter Jude empfangen, durch einen Faustschlag wehrlos gemacht, und dabei habe Winter den Schrei ausgestoßen. - Dort sei dann auch die Ermordung und Zerlegung des Körpers vor sich gegangen. Wir teilen, wie gesagt, diese Auffassung nicht, wollen sie aber doch hier mit erwähnen. Der unaufgeklärte Brand des Bretterschuppens kann dahin gedeutet werden, daß dort Spuren verwischt werden sollten.
Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p024.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)