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Zeugenvernehmung des Herrn Wehn zur Sprache: Eine Frau Borchardt sollte vor Herrn Wehn aussagen über ein von ihr gehörtes Gespräch der jüdischen Familie Matthäus Meyer in Konitz über den jungen Winter. Am Ende des Protokolls schreibt Herr Wehn: daß die Zeugin schließlich ihre ganze, soeben gemachte Aussage widerrufen habe. — Die Frau Borchardt wurde aber später nochmals, und zwar gerichtlich vernommen. Dabei erklärte sie mit Bestimmtheit: es sei ihr gar nicht eingefallen, ihre Aussage zu widerrufen. – Herr Wehn habe sie gefragt, ob sie ihm genau den Tag angeben könne, an dem sie ihre Wahrnehmung gemacht habe. Darauf habe sie „Nein“ gesagt und hinzusetzen wollen, „den Tag kann ich nicht angeben“. Aber schon bei dem Wort „Nein“ sei Herr Wehn aufgesprungen und habe ihr laut zugerufen: „Wenn Sie also nichts wissen, so machen Sie, daß Sie hinauskommen“, und sie habe sich aus dem Zimmer entfernen müssen. Auf Vorhaltung blieb Herr Wehn bei seiner Darstellung und berief sich dafür auf den Schutzmann Beyer und den Polizisten Hantelmann, die bei dem Vorfalle anwesend gewesen seien. Der Schutzmann Beyer bekundete jedoch, daß er nicht der Vernehmung der Frau Borchardt beigewohnt habe, und der Polizist Hantelmann sagte aus, daß Herr Wehn die Zeugin sehr laut angeredet habe. Nach seiner (Hantelmanns) Auffassung habe die Frau Borchardt ihre Aussage keineswegs zurücknehmen wollen. — Bei der Konfrontation mit Frau Borchardt gab Herr Wehn schließlich an, die Zeugin habe ihren Widerruf mit so leiser Stimme ausgesprochen, daß nur er, nicht aber Hantelmann es habe hören können. — Die Frau Borchardt verblieb aber mit aller Bestimmtheit dabei, daß sie in keiner Weise zu Herrn Wehn die von diesem behauptete Aeußerung (Widerruf) gethan habe.

Ueber die Methode, die der Kriminal-Kommissar Wehn bei seinen Ermittelungs-Versuchen anwendete, hat auch der Fall Eisenstädt (Schlochau) in den Schwurgerichts-Verhandlungen gegen Masloff Aufklärung gebracht: Es sollte lediglich festgestellt werden, ob der Eisenstädt in der Nacht vom 11. zum 12. März in dem katholischen Krankenhause zu Konitz gewesen war oder nicht. Herr Wehn vernahm hierüber den Eisenstädt und einen zweiten Juden, die beiden aussagten, Eisenstädt habe die ganze Nacht vom 11. zum 12. März in dem Krankenhause verweilt. Anstatt nun aber auch die Leitung des Krankenhauses, insbesondere die Krankenschwestern, zu vernehmen, sandte Herr Wehn bloß den Schutzmann Beyer zur Nachfrage hin, wie lange Eisenstädt im Krankenhause verpflegt sei. Damit war für Herrn Wehn die Sache genügend aufgeklärt und für ihn festgestellt, daß Eisenstädt in der Nacht vom 11. zum 12. März im Krankenhause sich aufgehalten habe. In den Verhandlungen gegen Masloff stellte sich aber durch Vernehmung der beiden Ordensschwestern und des Arztes heraus, daß Eisenstädt die Nacht vom 11. zum 12. März außerhalb des Krankenhauses zugebracht hatte.

Etwas Positives wollte Herr Wehn aber doch leisten; er ging nämlich von der Ansicht aus, „daß nur warme Brüder*)[1] den

  1. Berliner Ausdruck für Leute mit perverser Geschlechts-Empfindung.
Empfohlene Zitierweise:
Max Liebermann von Sonnenberg: Der Blutmord in Konitz. Berlin: Deutschnationale Buchhandlung und Verlags-Anstalt, 1901, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebermann-_Blutmord_Konitz-_p016.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)