Hand in Hand sassen die beiden auf dem Balkon und liessen die Blicke über den See schweifen, – und ein seltsamer Wunsch stieg in ihnen auf.
Sie sahen sich an – und wie so oft schon, waren sich ihre Gedanken auch diesmal begegnet.
Jetzt baden – jetzt im Wasser sein!
Einer von ihnen sprach den Gedanken zuerst aus, – – keiner wusste nachher, wer es war ... denn gedacht hatten sie beide dasselbe.
Und eine Abenteuerlust überkam sie und eine kindische Freude am Ungewöhnlichen und Romantischen. Leise schlichen sie sich hinunter ... so leise, als ob sie etwas Böses thun wollten, und fürchteten, ertappt zu werden.
Und dann standen sie in der Kabine, die sie gemietet hatten, und schnell, schnell, als könne die Furcht kommen und ihr Entschluss ihnen leid werden, entledigten sie sich ihrer Kleider.
Das dunkle Wasser, das am Tage so hell und grünlich schimmerte, und jetzt schwarz, wie der Nachthimmel, war, umschmeichelte ihre Körper und sie schmiegten sich fest aneinander an, als ob sie fürchteten, sich in der Dunkelheit zu verlieren.
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/96&oldid=- (Version vom 10.11.2016)