Seite:Liebe (Hennie Raché).djvu/8

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

manchmal das ganze bisherige Leben konzentriert und an unserem seelischen Auge vorüberzieht.

Ludwig sah sich als Kind, als Knabe, – der einzige Sprössling von Eltern, die ihn nicht liebten.

Die Mutter, eine schöne, kokette Frau, war entsetzt über den Sohn, den sie geboren hatte, was sie dem Kinde deutlich zeigte, das seine Mutter dafür hasste. Sein Vater, der wenigstens Mitleid mit dem unglücklichen Knaben hatte, erfüllte jeden seiner Wünsche, – beschäftigte sich aber selbst fast gar nicht mit ihm.

Einsam, ganz einsam wuchs der kleine Ludwig auf.

In die Schule ging er nicht, denn die Kinder, die ihn zufällig sahen, verspotteten ihn und machten sich über ihn lustig. Das ertrug er nicht, denn sein gerechtes kleines Kinderherz begriff es nicht, wie man ihn wegen seines Gesichtes, das er ja auch, gleich allen andern Dingen, wie seine Gouvernante ihn gelehrt, von Gott hatte, verspotten und schmähen konnte.

Und sein Herz lechzte so nach Liebe!

Es brach fast vor Sehnsucht, wenn er in seinen Büchern von Kindern las, welche gütige Eltern hatten, die sie liebten und sie lehrten.

Empfohlene Zitierweise:
Hennie Raché: 'Liebe. Roman.'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/8&oldid=- (Version vom 9.10.2016)