schönen, schönen Garten, in den als Knabe ihn seine Phantasie oft versetzt hatte. Dort lachte die Sonne so hell und der Himmel strahlte in reinster Bläue. Er ging umher und bewunderte die Blumen, die dort blühten und berauschte sich an ihrem Duft. Vögel mit farbenprächtigem Gefieder liessen ihren lockenden Gesang ertönen, und zahme Hirsche und Rehe frassen ihm aus der Hand. Und dann trat ein Weib zu ihm, schön und strahlend wie die Morgenröte, in weiche, weisse, lange Gewänder gehüllt. Sie trug Leas Züge. Holdselig lächelnd ging sie zu ihm, ergriff seine Hand und neigte sich über ihn, als wolle sie ihn küssen ....
Das klirrende Geräusch einer umfallenden Tasse erweckte Ludwig aus seinem halbwachen Traum.
Er sah auf die Uhr. Es war in fünf Minuten zehn.
Rasch sprang er auf und machte sich zum Ausgehen fertig.
Er zog den Paletot an, setzte den Hut auf, – alles, ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen.
Der Spiegel war ein Feind, den er scheute, ein hinterlistiger, heimtückischer Feind, der ihn überall und zu jeder Zeit an sein Unglück erinnerte. Nirgends war
Hennie Raché: 'Liebe. Roman'. G. Müller-Mann’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1901, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Liebe_(Hennie_Rach%C3%A9).djvu/26&oldid=- (Version vom 24.10.2016)