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und löste die Versammlung auf. Sonst aber ist von einem Grundgedanken bei dieser lächerlichen Zensur nichts zu merken. Oft ist die Kirche beleidigt, das ist sie ja immer, und ein Scherzgedicht wie das von Klabund[1] über die Heiligen Drei Könige[2] darf zwar gedruckt werden, allerdings nicht ohne daß der Sozialdemokrat Braun[3] in einem jämmerlichen Entschuldigungsschreiben an das Zentrum die Verse „unflätig“ nennt – o, Bebel, Bebel[4]! Gedruckt: ja. Aber im Rundfunk verbreitet werden darf es nicht. Jede Erklärung dieser Inkonsequenz ist eine Lüge. Rundfunk und Film sind einfach wirksamer als das Buch; sie haben sich aber noch nicht ihre Freiheit erkämpft. Also kann man sie knuten, also kann man sie zensurieren.

Lest Bücher! Sie sind kleine Inseln der Freiheit im Meer der Zensur.



Mit einem Zuchthäusler?

Der härteste Augenblick im deutschen Strafvollzug ist der, wo der Entlassene wieder vor dem Zuchthaus steht, dessen Tore sich langsam von innen geschlossen haben. Was nun –?

Nun beginnt entweder die Hetze durch die Polizeiorgane, die lächerliche Barbarei der Polizeiaufsicht, oder der Mann sucht sich Arbeit, er möchte arbeiten – es will ihn aber keiner.

Hier muß die Wahrheit gesagt werden:

Es ist nicht immer nur der Arbeitgeber, der den ehemaligen Zuchthäusler aus dem Bureau jagt; es ist leider noch sehr oft der deutsche Arbeiter, der sich weigert, „mit einem Zuchthäusler“ zusammenzuarbeiten. Der Arbeiter begeht hier ein schweres Unrecht.

Deutsche Richter und solche, die es werden wollen, sind geneigt, dieses kleinbürgerliche Schlagwort vom „ehemaligen Zuchthäusler“ auf das Konto: „natürliches Rechtsempfinden


Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_082.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)