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Kommt heim! laßt uns die Stunde nicht vergeuden;
Was habt ihr mit den Todten hier zu kramen?

Don Juan.
Wenn ich an Lust mich heiß und müd genossen,
Und mich zu schwül das Leben hält umschlossen,
Dann mach’ ich gerne Kirchhofpromenade;
Das wirkt wie eine Seelenlimonade.
Ich lese kühle Mährchen auf den Steinen,
Vom Marmor rieseln noch die Thränenquellen
Melodisch in der Reime Wasserfällen,
Die längst vom trocknen Auge nicht mehr weinen.
Ich höre längst verhallte Seufzer wehen,
Hier prahlt der Schmerz im Stein, nicht zu vergehen,
Und mit den Rosen um die Urne winden
Die Träume sich von einem Wiederfinden.
So kühlen mit ironischem Geplauder
Die Gräber mir manchmal die heißen Sinne;
Und daß zur Lust ich neue Lust gewinne,
Nehm’ ich hier einen Trunk vom Todesschauder.
Doch will’s auch damit nicht mehr recht gelingen,
Die Freude kann nicht mehr wie einst hinbrausen;

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/79&oldid=- (Version vom 23.4.2023)