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Da steht der schlau geduckte Jäger still.
Er lockt und ist geblendet und betäubt
Vom Sturm der Lust, der sein Gefieder sträubt.
So lang der wilde Vogel scharf und dringend
Sein Lieb beschwört, so sieht und hört er nichts
Vom Feind, gespannten Rohres und Gesichts
In Sätzen hurtig an die Eiche springend.
Ein Schuß, da stürzt und rauscht entseelt vom Ast
Des Waldes lenz- und liebestrunkner Gast.
Ein solcher Schuß dünkt Frevel mir, verübt
Am holden Lenz; mich däucht, es muß ihn schmerzen,
Wenn ihm auch nur in eines Vogels Herzen
Sein flüchtiges Beglücken wird getrübt.
Ich will dem Jäger seine Jagd verderben,
Der Auerhahn soll heute noch nicht sterben.

Gracioso.
Wie Euch so eines Vogels Sterbetag
Weit mehr als Euer eigner kümmern mag!

Don Juan.
Du hältst mein Roß, ich springe an den Ort,
Und scheuche rettend den Verliebten fort.




Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/75&oldid=- (Version vom 23.4.2023)