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Fahr hin, unholdes Jahr! mir warst du von den schlimmen;
Es mögen Andre dir ein Liedlein Dankes stimmen.

Die Andern?! – strafend will die Scham mich überkommen,
Daß ich, was Andern frommt, nicht mir auch ließe frommen.

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Was gilt mein Körnlein Schmerz, was gilt mein Lüftchen Klage,

O scheidend Jahr, wenn ich den letzten Gruß dir sage?

Doch läßt mein Herz auch nur vom Weltgeschick sich führen,
Kann mich dein Scheiden nicht zu Dankesthränen rühren.

Zwar hieß dein wahres Wort manch Lügenbild erblassen,

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Doch war dein Lieben matt, doch war zu kühl dein Hassen.


Zwar hast du unserm Heil den Weg gebahnt von Eisen;
Doch eisern mochte nicht dein Wille sich erweisen.

Noch fährt der Nachtgeist fort zu siegen und zu schrecken,
Auf neuen Feldern stets sein Lager abzustecken.

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Eins sey gebeten, Jahr: was du gethan, gesonnen,

Verlaufe nicht im Sand wie Wein zerschlagner Tonnen.

Wenn die Ablöse kommt, das Neue Jahr von Osten,
Und nimmt an deiner statt den Erdenwacheposten,

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/159&oldid=- (Version vom 23.4.2023)