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Ich las einmal in einem fränk’schen Blatte,

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Daß eine Metze einen Liebsten hatte.


Der Liebste war ein armer, armer Ritter,
Dachlos, brodlos, kleidlos, es drückt’ ihn bitter.

Denn, ach! er hatte nicht um sich geschlagen
Den Bettlermantel, den die Schwaben tragen,

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Das Nothgewändlein, das im Neckarthal

Die Patria, Religion, Moral,

Drei alte Schneiderjungfern zubereiten
Und dort den Bettlern um die Hüfte breiten.

Schon war der Arme fast in Noth verkommen,

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Da hat die Metze sein sich angenommen.


So manchem Jüngling war die Dirne schädlich,
Nur mit dem Einen meinte sie es redlich.

Was mit der Sünde sie gewann, der feilen,
Sie bracht’ es heim, es treu mit ihm zu theilen.

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Behaglich nahm es an der faule Schuft,

Wie sie entehrt zueilte ihrer Gruft.

Empfohlene Zitierweise:
Nicolaus Lenau: Nicolaus Lenau’s dichterischer Nachlaß. J. G. Cotta, Stuttgart und Augsburg 1858, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lenau_-_dichterischer_Nachlass,_1858.djvu/123&oldid=- (Version vom 22.4.2023)