Über die Herrlichkeiten Roms ist wohl nicht nötig etwas zu sagen; ich habe sie angestaunt und empfunden, wie jeder andere empfängliche Künstler. Anfangs hatte ich Lust, mich für immer dort niederzulassen; doch erwachte bald die Liebe zum Vaterlande um so lebendiger, und nie bin ich recht heimisch in Rom geworden. Wenn ich nachts über das vom Mond beleuchtete Forum Romanum blickte, so erschien es mir immer wie ein Riesenkirchhof mit seinen alten verfallenen Grabmälern. Die unzähligen herrlichen Bildwerke des Altertums und der Renaissancezeit wirken anfänglich erdrückend auf einen jungen Künstler; erst nach und nach kommt man wieder zu eignem Denken und Empfinden. Für immer möchte ich nicht in Rom leben, aber jedenfalls ist der beneidenswerth, welcher von Zeit zu Zeit wieder dahin zurückkehren kann; denn die Sehnsucht, all die Herrlichkeiten wiederzusehen, wird niemand wieder los, der einen vollen Blick in das schöne Italien gethan hat. Ausgeführt habe ich in Italien kein Bild, wohl aber mancherlei Kompositionen gezeichnet, vor allem aber Natur und Kunstwerke studiert. Ich sehnte mich zum Selbstschaffen nach so gewaltigen Eindrücken. Auf der Rückreise zur Heimat sah ich in München die großen monumentalen Werke von Cornelius, Schnorr u. s. w. und wurde durch diese trotz alles vorher Gesehenem auf das tiefste ergriffen. In München lernte ich auch Kaulbach keimen, der mich sehr freundlich aufnahm. Nach Dresden zurückgekehrt, ließ ich mich als selbständiger Künstler nieder und verheiratete mich. Ich hatte meine Frau schon, als sie noch Kind war, gesehen und mich für sie interessiert; als ich sie mehrere Jahre später als Jungfrau wieder sah, war es mir klar, daß ihr Besitz zu meinem Lebensglück nötig sei, und da dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte, so haben wir sieben Jahre auf einander gehofft, bis es möglich wurde, uns für dieses Leben und für die Ewigkeit zu verbinden. Ich nahm nun ein größeres Ölbild in Angriff „Der verratene und verleugnete Heiland“. Nebenbei zeichnete ich unter anderem Illustrationen für lettische Volkslieder und führte ein Madonnenbild aus, welches auf der Ausstellung sofort verkauft wurde. Da hörte ich, daß eine neue Kreuzschule gebaut und die Aula derselben mit Wandbildern geschmückt werden sollte; ich hatte längst den sehnlichsten Wunsch, ein großes monumentales Werk auszuführen und setzte nun alles daran, zu diesem Zwecke Kompositionen zu entwerfen. Altmeister Schnorr, Professor Hähnel und der bedeutende Litteratur- und Kunsthistoriker Hermann Hettner interessierten sich für mein Streben. Die Entwürfe fanden ihren Beifall, und dank ihrem lebhaften Eintreten für
Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/30&oldid=- (Version vom 8.12.2024)