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mich weiter zu bilden; leider hatte ich damals keinen Ratgeber, welcher mir den rechten Weg zeigte. Natürlich erwachte auch die Freude am Theater, und es wurde am Essen Geld gespart, um abends im Theater sich begeistern zu können. Da ich am Tage in der Akademie arbeitete, wurde die Nacht zum Lesen genommen; ich erinnere mich, daß ich Wilhelm Meisters Lehrjahre von Sonnabend abends die Nacht ununterbrochen bis Sonntag Abend fertig gelesen habe, und war sehr betrübt, daß ich die Wanderjahre nicht sofort bekommen konnte. Dieses fieberhafte Lesen brachte mich oft in krankhafte, aufgeregte Stimmung; so wurde ich, als ich nachts Don Juan von Lord Byron las und an die Stelle kam, wo Don Juan und seine Gefährten Schiffbruch leiden, durch die gewaltige Dichtung so ergriffen, daß ich für die Rettung der Schiffbrüchigen betete. Die Tagesarbeit in der Akademie, das viele Lesen und viele Komponierversuche in der Nacht und wohl auch körperliche Erkältung waren Schuld, daß mich ein schleichendes Nervenfieber überfiel. Ich war dem Tode nahe und mußte neun Monate von aller Arbeit fern bleiben. Nachdem ich die akademischen Klassen durchgemacht hatte, trat ich in das Meisteratelier des Professor Bendemann, blieb aber nur ein Jahr dessen Schüler, da er öfter krank und längere Zeit abwesend war. Bendemann war ein vortrefflicher Lehrer; das habe ich erst später mehr und mehr einsehen gelernt. Ich malte bei ihm ein Selbstporträt und zeichnete mancherlei Kompositionen, so auch zu einem deutschen Geschichtswerke, zu welchem eine große Zahl der bedeutendsten Künstler Zeichnungen lieferte; auch mir und zwei älteren Mitschülern war es vergönnt, unsere ersten Sporen in der Kunst zu verdienen. Als ich Bendemanns Atelier verließ, wurde ich Schüler des großen Meisters Schnorr von Carolsfeld; ich malte ein kleines Bild „Genofeva im Walde,“ welches der sächsische Kunstverein ankaufte. Leider hatte ich schon seit Jahren um meine Existenz schwer zu kämpfen; es blieb mir auch nichts von dem Honorar dieses Bildes übrig. Ich konnte ein anderes nicht ausführen, sondern mußte lange Zeit illustrieren und für Kunsthändler arbeiten, so daß ich das Atelier Schnorrs nicht besuchen konnte. Dazu kam ein ernster Zwiespalt. Ich hatte von einem alten vornehmen Herrn einen Auftrag erhalten; er stellte dabei an die Kunst sehr gemeine Anforderungen, und da ich nicht darauf einging, höhnte er mich in so frivoler Weise, daß ich mich hinreißen ließ, ihm einen sehr geharnischten Brief zu schreiben. Wie der Herr diese Sache Meister Schnorr mitgeteilt hat, weiß ich nicht; die Wahrheit hat er jedenfalls nicht gesagt, denn sonst hätte der

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Wilhelm Loose: Lebensläufe Meißner Künstler. C. E. Klinkicht & Sohn, Meißen 1888, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lebensl%C3%A4ufe_Meissner_K%C3%BCnstler.pdf/26&oldid=- (Version vom 8.12.2024)