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eurer hohen Aufgabe treu und verlaßt das trostlose Bereich, in das ihr euch verirrtet! Erst dann wird euch selbst wieder wohl zu Muthe werden, wird euch die verlorene Freudigkeit und Heiterkeit wieder beglücken, wenn ihr auf den heiligen Boden reiner idealer Kunst zurückgekehrt seid. Ein Jeder thue, was er kann! Starke Überzeugung wirkt Wunder! — —

Ich muß jener Erzählung gedenken, die Platon dem Protagoras in den Mund legt. Prometheus hatte den Menschen das Feuer gespendet, und die ganze Betriebsamkeit menschlicher praktischer Arbeit war eingetreten. Aber die Menschen verkamen seelisch. Da schickten die Götter, sich ihrer erbarmend, Aidos und Dike: die Ehrfurcht und — man darf es wohl so übersetzen — die Sittlichkeit, und die Menschen waren gerettet. O, möchte auch uns Deutschen der Gott, der in unserem Busen lebt und wirkt, diese beiden Retterinnen, deren wir tief bedürftig sind, erwecken! Möchten wir uns zu eigen machen, was unser des Gottes voller Dichter, was Goethe als Grund, Inhalt und Bedeutung aller Bildung und Erziehung gepriesen und geboten hat, möchten wir in dem Bewußtsein der Würde des Menschenthums das Unschätzbare wiedergewinnen: Die Ehrfurcht vor uns selbst!


C. F. Wintersche Buchdruckerei.
Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 37. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)