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Studium der großen Genieschöpfungen aller Vergangenheit, denn nur durch sie sind wir zu bilden. Und welches Volk hat denn durch seine Genien eine solche noch nicht entfernt ausgenützte Fülle von künstlerischer und kultureller Belehrung erhalten wie gerade unser deutsches? Mit allem dem sollten wir besinnungslos und undankbar brechen? Wir sollten uns von Irrlichtern in einen Sumpf verführen lassen, indessen an unserem Himmel das tröstliche Licht ewiger Sterne strahlt, bestimmt, unser Inneres zu erhellen, auf daß wir es wieder ausstrahlen in unserem Leben und Schaffen! Hilft uns die Erkenntniß dessen, was noth thut, wird sie bestimmend für die Erziehung der Jugend, dann wird die geistige und seelische Noth, die jetzt schon in so vielen edlen Herzen brennt, das Übrige bewirken. Aus ihr wird das Feuer hervorlodern, welches das Unsittliche verzehrt. Und in ihrer Reinheit wird die Kunst wieder zur ungetrübten Freude, zur Erhebung, zur sittlichen Stärkung, zum wahren Bildungsmittel werden. So möchte man es erhoffen!

Die Kunst als Bildungsmittel! Meine ich damit eine Bildung, wie die, von der jetzt so viel die Rede ist, eine rein ästhetische Erziehung? Unsere Betrachtung kehrt zu ihrem Ausgangspunkt zurück. Eine rein ästhetische Bildung? Und diese in einer Zeit mit solchen Erscheinungen, wie wir sie kennen gelernt! Weiß man denn nicht — es ist doch die einfachste und unbestreitbarste Wahrheit — , daß Ästhetisches und Sittliches als Elemente der Bildung unzertrennlich zu einander gehören? Daß Ästhetisches ohne Sittliches aller Grundlage entbehren würde? Bedenkt man denn nicht, daß nur, wenn mit dem nothwendig zu erwerbenden Wissen jene

Empfohlene Zitierweise:
Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/40&oldid=- (Version vom 1.8.2018)