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Andeutungen genügen, die tiefgreifenden Unterschiede ersichtlich zu machen. Daß ausnahmsweise einmal ein großer Künstler, wie Rembrandt, obszöne Darstellungen in seinen Radierungen gegeben, dem wird wohl kein Vernünftiger die künstlerische Berechtigung solcher Vorwürfe entnehmen, vielmehr sie nur als unerfreuliche Ausartungen eines derben Humors betrachten, die durchaus mit Recht der Öffentlichkeit entzogen werden.

Soviel über das Gegenständliche. Nun die Darstellungsweise. Hier erwarten Sie, obgleich das Unsittliche und Unkünstlerische sich ebenso schlimm, ja häufig noch ärger bei bekleideten oder halbbekleideten Figuren geltend macht, ein Urtheil über die Frage des Nackten. Über das Eine sind wir uns nach allem Gesagten wohl einig: daß das Nackte das Herrlichste, daß es das Widerwärtigste in der Kunst sein kann. Wie aber, wenn wir jetzt ganz von unzüchtigen Handlungen und Bewegungen absehen, wie erklärt sich dies? Ich gestehe, mich nicht darüber zu täuschen, daß jeder Versuch, mit Worten die Grenzen zwischen dem künstlerisch Zulässigen und Nichtzulässigen in der Wiedergabe des Nackten genau anzugeben, vergeblich sein würde, da im letzten Grunde Alles auf die Reinheit, das Schamgefühl und die ideale Richtung des Künstlers ankommt. Aber gewisse allgemeine Thatsachen festzusetzen, indem man der Grenzbestimmung weiten Spielraum läßt, ist doch möglich, und zwar eben auf Grund unserer Auffassung von der Kunst. Im Hinblick auf diese und zugleich auf die Erfahrung behaupte ich: das in typisierender Form Gestaltete, das heißt in irgendwelchem Sinne in Formen oder in Farbe oder in Beleuchtung stilisierte,

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Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 26. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/31&oldid=- (Version vom 1.8.2018)