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sind. Jener Meinung, die uns in den von mir gekennzeichneten irrigen ästhetischen Maximen bereits bekannt geworden ist. Auch deren Ergebnisse lehnen wir bei aller Anerkennung ernsten Strebens und eifriger Bemühungen als unkünstlerisch ab.

Sind wir uns hiermit darüber klar geworden, von welcher Tragweite für eine gerechte Beurtheilung es ist, die Gesinnung des Künstlers in Anschlag zu bringen, so haben wir nun bloß unsere zwei Hauptsätze vom Wesen der Kunst anzuwenden, um zu beweisen, was freilich gar nicht bewiesen zu werden brauchte: daß es sowohl Vorwürfe als Darstellungsweisen giebt, die als unsittlich und daher unkünstlerisch zu bezeichnen sind. Ausgeschlossen aus der Kunst ist, was unser persönliches Begehren erregt, also Alles, was Ekel und Begierde wachruft. Da, wie wir erkannten, das Gegenständliche für die Art des ästhetischen Eindruckes bestimmend ist, sind demnach Vorwürfe unsittlich sinnlicher Art künstlerisch unzulässig. Denn sie erwecken, jeder Verklärung durch Auffassung und Behandlung spottend, sei es Widerwillen, sei es Begierde und machen ein reines Anschauen und Fühlen unmöglich. Und zweitens sind solche Darstellungen auch insofern unkünstlerisch, als sie dem künstlerischen Erforderniß einer Gestaltung des Typischen widersprechen. Denn das Menschliche, zum Typischen erhoben, bedingt die Verdeutlichung des dem Menschen Charakteristischen, das heißt des geistigen Elementes. Die Betonung des bloß Animalischen bedeutet eine Verzerrung und Entstellung des Menschlichen, es sei denn, wie wir noch sehen werden, daß der Humor seine künstlerischen

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Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/28&oldid=- (Version vom 1.8.2018)