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gewonnen, jenen entsprechen und entwickelt so ihre Gesetzmäßigkeit. Also und dies vor Allem bezüglich des Wesens der Kunst: Wir lehnen die These von der Gleichgültigkeit des Gegenständlichen in jedem Sinne und für jede Kunst ab. Wir halten an dessen Bedeutung im ganzen Kunstbereiche fest. Und hieraus ergiebt sich schon unverzüglich für den Vorausblickenden die Folgerung: nicht alles Gegenständliche ist der künstlerischen Behandlung fähig. Es giebt Vorstellungen, die sich der künstlerischen Gestaltung entziehen.

Nun weiter aber! Betrachten wir die Kunst von der Seite des Vorganges, den sie in uns hervorruft: was ist ihr dann wesentlich? Auch hier will ich nicht Definitionen bringen, sondern nur Thatsachen allgemeiner Art, die als solche von den Vertretern der verschiedensten ästhetischen Systeme zugegeben werden dürften, in den Vordergrund rücken. Die erste ist die, daß wir als ganzer Mensch künstlerisch schaffen und aufnehmen. Ein Satz, wie der soeben widerlegte formalistische, welcher — wie man ohne weiteres versteht — das Künstlerische nur auf das Sinnliche, auf die Sensation beschränkt und das Wirken der Phantasie und des Gefühls ausschließt, ist, auch von diesem Gesichtspunkt geprüft, etwas Absurdes. Wir sind doch nicht Wesen, deren Thätigkeit sich bloß auf die Gesichts- oder Gehörsempfindungen reduzieren läßt, sondern wir bethätigen in jedem Augenblicke geistige und seelische Kräfte. Auch im Momente künstlerischer Empfängniß wirken sie mit, und zwar in einer besonderen, gesteigerten Weise. Sie sind nicht außer Aktion zu setzen. Des ferneren haben wir zu kennzeichnen, was in

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Henry Thode: Kunst und Sittlichkeit. Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung, Heidelberg 1906, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Sittlichkeit.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)