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die höchste, ernsteste menschliche Angelegenheit, von allgemeinerer Bedeutung noch als die Wissenschaft, da sie die innere Gemeinschaft in einem Unpersönlichen lauterer Gefühlswahrhaftigkeit gleichsam von uns erzwingt.

Und mit jeder Stunde, jedem Tage, liegt an solchem unserem Streben mehr.

Nach heißem Sehnen, das ein Jahrhundert lang die Seele des Volkes erfüllte, haben wir Deutsche, dank der Kraft desselben, und dank der Kraft großer, genialer Männer, die äußere Gemeinsamkeit in der Einheit unseres Landes und zugleich das Bewußtsein der Einheit des Deutschtums gewonnen. Sehen wir die Stellung, die wir in der Welt erkämpft haben, so können wir nicht anders, als uns darüber freuen und auf unsere Errungenschaften stolz sein. Jede Nachricht, die wir lesen, berichtet davon, wie unsere äußere Macht wächst. Aber in dieser glänzenden Entfaltung liegt eine sehr große Gefahr, dieselbe, welche zu allen Zeiten allen Völkern nach ruhmreichen Siegen und großen Erfolgen nahe getreten, ja zumeist verhängnisvoll geworden ist. Was so hoch und herrlich dasteht und den Blick berauscht, es ist hohl und nichtig und trägt den sittlichen Verfall in sich, wenn der äußeren Macht nicht die innere Kraft entspricht. Wir Deutsche stehen vor der entscheidenden Wendung unserer Geschichte, und Alles kommt darauf an, wie wir uns verhalten. Alles Heil der Zukunft liegt in der Einsicht beschlossen: nur die Innerlichkeit macht uns der äußeren Weltstellung würdig, nur das Erstarken des inneren Lebens kann uns vor der furchtbaren drohenden

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Henry Thode: Kunst, Religion und Kultur. Carl Winter’s Uinversitätsbuchhandlung, Heidelberg 1901, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst,_Religion_und_Kultur.pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)