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Walther Kabel: Kriege und Raubtiere (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3)

Kugeln ein Ende fanden, ihre Zahl nahm nicht ab, vermehrte sich im Gegenteil von Tag zu Tag. Man hatte es hier eben wieder mit der längst bekannten Erscheinung zu tun, daß Schlachtenlärm und Geschützdonner diese unwillkommenen Gäste von weither zusammenlockt.“

Der Budapester Militärarzt Rejsky, der freiwillig auf seiten der Bulgaren den Krieg mitgemacht hat, erzählt in seinem Tagebuch, daß vor der Tschataldschabefestigungslinie Geier und Adler zu Hunderten, Raben und Krähen aber zu Schwärmen von Tausenden in der Nähe der Truppenlager beobachtet wurden. Das geflügelte Raubzeug war in kurzer Zeit so frech geworden, daß es selbst während kleinerer Vorpostengefechte in Schwärmen über dem Kampfplatz kreiste und Leichen und auch Schwerverwundete bereits zu verspeisen begann, während noch in nächster Nähe Schüsse knallten und der Geschützdonner den Erdboden erzittern ließ. Die mit Karabinern ausgerüsteten Krankenträger ebenso wie die mit dem Zusammentragen der Toten beauftragten Soldaten gaben es bald auf, ihre Patronen gegen die Leichenfresser zu vergeuden. Dies zahlreiche Raubgesindel, in der Hauptsache Geier und Adler, fiel nun merkwürdigerweise weit lieber über die menschlichen Körper als über die Pferdekadaver her, die ihnen doch viel reichlichere und bequemere Nahrung boten. Nur im Anfange des Krieges begnügten sie sich mit den Pferdeleibern. Später schienen sie, so grausig es auch auszusprechen ist, sozusagen als Feinschmecker zu der Überzeugung gelangt zu sein, daß Menschenfleisch weit besser schmecke, und überließen daher die Pferde den Raben und Krähen, denen es bei ihren schwächeren Schnäbeln nicht recht gelingen wollte, die Uniformstücke zu zerreißen.

Von vierfüßigem Raubzeug waren es vornehmlich Wölfe und Schakale, die der Krieg aus ihren Verstecken herauslockte, und die den kämpfenden Heeren ebenso treue wie unliebsame Gefolgschaft leisteten. Während des Waffenstillstandes von Tschataldscha ließ das bulgarische Oberkommando einmal durch Kavallerie eine große Treibjagd auf Wölfe veranstalten, da diese von Tag zu Tag unverschämter und zudringlicher geworden

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Walther Kabel: Kriege und Raubtiere (Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Band 3). Union Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, Berlin, Leipzig 1915, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kriege_und_Raubtiere.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)