sie dem Staate, — um die unzähligen Vortheile des Privatmannes zu übergehen, — verleiht, hat Plato sehr gut nachgewiesen, der sie im siebenten Buche der Gesetze hauptsächlich deswegen für erstrebenswerth erachtet, weil die durch sie nach dem Massstabe der Tage in Monate und Jahre eingetheilte Zeit den Staat in Bezug auf die Feste und Opfer lebendig und wachsam macht; und er sagt, dass, wenn Jemand behauptete, dass für Einen, der irgend welche der höchsten Wissenschaften erfassen will, diese nicht nöthig sei, dieser sehr thöricht denken würde. Er ist der Ansicht, es sei weit gefehlt, dass Jemand als gross aufgestellt und bezeichnet werden könnte, der weder von der Sonne, noch von dem Monde, noch von den übrigen Gestirnen die nothwendige Kenntniss besitze. Diese mehr göttliche als menschliche Wissenschaft, welche die höchsten Dinge erforscht, entbehrt aber auch nicht der Schwierigkeiten, zumal wir sehen, dass die Meisten, welche es unternommen haben, sich damit zu beschäftigen, über ihre Grundlagen und Annahmen, welche die Griechen Hypothesen nennen, uneinig gewesen sind und daher sich nicht auf dieselben Berechnungen gestützt haben. Ferner weil der Lauf der Fixsterne und die Kreisbewegung der Planeten nur erst mit der Zeit und nach vielen vorangegangenen Beobachtungen, aus welchen sie, so zu sagen, von Hand zu Hand der Nachwelt überliefert wurden, durch zuverlässige Zahlen bestimmt und zu einer vollkommenen Wissenschaft gestaltet werden können. Denn obgleich Cl. Ptolemäus von Alexandrien, welcher an bewunderungswürdiger Geschicklichkeit und Umsicht die Uebrigen weit überragt, mit Hülfe der Beobachtungen von vierhundert und mehr Jahren diese Wissenschaft fast zur höchsten Vollendung gebracht hat, so dass es bereits den Anschein hatte, als gäbe es nichts, was er nicht berührt hätte: so sehen wir doch, dass das Meiste mit dem nicht übereinstimmt, was aus seiner Ueberlieferung folgen sollte, weil noch einige andere Bewegungen aufgefunden sind, welche ihm noch unbekannt waren. Deshalb sagt auch Plutarch da, wo er vom Sonnenjahre handelt: „bis jetzt übersteigt die Bewegung der Gestirne die Einsicht der Mathematiker.“ Um nämlich bei dem Beispiele von dem Jahre stehen zu bleiben, so halte ich es für bekannt, wie verschieden die Meinungen darüber immer gewesen sind, und zwar bis zu dem Grade, dass Viele daran verzweifelten, eine zuverlässige Berechnung desselben finden zu können. Damit es aber nicht so scheine, als wollte ich meine Schwachheit unter dem Vorwande dieser Schwierigkeit verbergen, so werde ich mit Hülfe Gottes, ohne den wir nichts vermögen, an den andern Planeten dieses weitläufiger zu prüfen versuchen, indem wir desto mehr Hülfsmittel besitzen, unsere Theorie zu unterstützen, um einen je grösseren Zeitraum die Gründer dieser Wissenschaft uns vorangegangen sind, mit deren Beobachtungen wir das vergleichen können, was auch wir von Neuem beobachtet haben. Uebrigens gestehe ich, dass ich Vieles anders, als meine Vorgänger darstellen werde, wenngleich auf Grund ihrer eigenen Dienste, da sie ja den ersten Zugang zu der Untersuchung dieser Gegenstände eröffnet haben.
Nicolaus Copernicus: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Ernst Lambeck, Nürnberg und Thorn 1879, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/38&oldid=- (Version vom 1.8.2018)