Freiheit vergönnt gewesen war, beliebige Kreisbewegungen zur Ableitung der Erscheinungen der Gestirne anzunehmen. Ich war der Meinung, dass es auch mir wohl erlaubt wäre, zu versuchen, ob unter Voraussetzung irgend einer Bewegung der Erde, zuverlässigere Ableitungen für die Kreisbewegung der Himmelsbahnen gefunden werden könnten, als bisher.
Und so habe ich denn, unter Annahme der Bewegungen, welche ich im nachstehenden Werke der Erde zuschreibe, und durch viele und lange fortgesetzte Beobachtungen endlich gefunden, dass, wenn die Bewegungen der übrigen Wandelsterne auf den Kreislauf der Erde übertragen, und dieser dem Kreislaufe jedes Gestirnes zu Grunde gelegt wird, — nicht nur die Erscheinungen jener daraus folgen, sondern auch die Gesetze und Grössen der Gestirne und alle ihre Bahnen und der Himmel selbst so zusammenhängen, dass in keinem seiner Theile, ohne Verwirrung der übrigen Theile und des ganzen Universums, irgend etwas verändert werden könnte. Dem angemessen habe ich auch im Verlaufe des Werkes die Ordnung befolgt: dass ich im ersten Buche alle Stellungen der Bahnen beschrieb, mit Einschluss der Bewegungen, die ich der Erde beilege; so dass dieses Buch gleichsam die allgemeine Verfassung des Universums enthält. In den übrigen Büchern aber trage ich hierauf die Bewegungen der übrigen Gestirne und aller Bahnen, mit Einschluss der Bewegung der Erde vor, damit daraus erkannt werden kann, in wie fern die Bewegungen und Erscheinungen der übrigen Gestirne und Bahnen beibehalten werden können, wenn sie auf die Bewegungen der Erde bezogen werden. Ich zweifle nicht, dass geistreiche und gelehrte Mathematiker mir beipflichten werden, wenn sie, was die Philosopie vor Allem verlangt, nicht oberflächlich, sondern gründlich erkennen und erwägen wollen, was zum Erweise dieser Gegenstände in dem vorliegenden Werke von mir herbeigebracht ist. Damit aber gleicher Weise Gelehrte und Ungelehrte sehen, dass ich durchaus Niemandes Urtheil scheue, so wollte ich diese meine Nachtarbeiten lieber Deiner Heiligkeit, als irgend einem Andern widmen, weil Du auch in diesem sehr entlegenen Winkel der Erde, in welchem ich wirke, an Würde des Ranges und an Liebe zu allen Wissenschaften und zur Mathematik für den Erhabensten gehalten wirst; so dass Du durch Dein Ansehn und Urtheil die Bisse der Verleumder leicht unterdrücken kannst, obgleich das Sprichwort sagt, es gebe kein Mittel gegen den Biss der Verleumder.
Wenn aber vielleicht Schwätzer kommen, die, obgleich in allen mathematischen Wissenschaften unwissend, dennoch sich ein Urtheil darüber anmassen und es wagen sollten, wegen einer Stelle der Schrift, die sie zu Gunsten ihrer Hypothese übel verdreht haben, dieses mein Werk zu tadeln oder anzugreifen: aus denen mache ich mir nichts, und zwar so sehr nichts, dass ich sogar ihr Urtheil als ein dummdreistes verachte. Denn es ist nicht unbekannt, dass Lactantius, übrigens ein berühmter Schriftsteller aber ein schwacher Mathematiker, sehr kindisch über die Form der Erde spricht, indem er Diejenigen verspottet, die gesagt haben, die Erde habe die Gestalt
Nicolaus Copernicus: Nicolaus Coppernicus aus Thorn über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Ernst Lambeck, Nürnberg und Thorn 1879, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kreisbewegungen-Coppernicus-0.djvu/35&oldid=- (Version vom 1.8.2018)