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Wie ein Konversationslexikon gemacht wird.

Gerade vierzig Jahre sind es her, daß Joseph Meyer von Hildburghausen die Reihe seiner buchhändlerischen Unternehmungen um eine neue vermehrte, und mit einem Konversationslexikon wider den damals alleinherrschenden „Brockhaus“ in die Schranken trat. Wol vermochte er es nicht, den Gegner aus dem Sattel zu heben, aber ein Erfolg war es immerhin zu nennen, daß er innerhalb sechzehn Jahren das unternommene Werk in zweiundfünfzig starken Bänden mit tausenden von Kupfern und Karten vollendete. Als dem unermüdlich thätigen Manne dann ein Jahr darauf durch den Tod die Feder aus der Hand gerissen wurde, trat sein Sohn, Hermann J. Meyer mit jugendlicher Energie das väterliche Erbe an. In des Vaters Lebensbeschreibung hat das Daheim bereits vor Jahren[1] erzählt, welch schwere Last damit auf seine Schultern fiel, wie es aber seiner rastlosen Thätigkeit, seiner selbstverleugnenden Rechtlichkeit, seinem intelligenten Geschäftsbetriebe gelang, die Firma des „Bibliographischen Instituts“ (seit 1874 in Leipzig) zu einer der namhaftesten und geachtetsten emporzuheben. Vor allem ist es ihm gelungen, innerhalb zweier Jahrzehnde das Hauptwerk seines Vaters wieder erstehen zu lassen und sein „Neues Konversationslexikon,“ wie er es 1857 beim Wiedererscheinen nannte, zu einer durchaus mustergiltigen Encyklopädie des allgemeinen Wissens zu machen.

Unzweifelhaft nimmt heute Meyers Konversationslexikon durch die Zweckmäßigkeit seiner Anlage, durch die abgerundete und gemeinverständliche Darstellung jeder einzelnen Wissenschaft, jedes Gewerbes, jeder Kunst, wie durch die meisterhafte Verwerthung des illustrativen Elementes den ersten Rang unter Deutschlands ähnlichartigen Werken ein. Wir können das um so unbefangener aussprechen, als wir uns mit ihm in seiner Behandlung politischer und kirchlicher Fragen keineswegs immer im Einklang wissen und es namentlich bedauern, daß es in allen theologischen Artikeln ganz im Banne der protestantenvereinlichen Anschauungen steht. Doch begegnen wir auch hier in manchen Stücken (z. B. in der Behandlung der äußeren und inneren Mission) einer, wenn auch kühlen, so doch gerechten Objektivität, während in allen nationalen Abschnitten uns ein warmer, patriotischer Hauch wohlthuend berührt.

Im einzelnen dies alles nachzuweisen, thut nicht noth. Die freudige Aufnahme der jetzt sechzehn stattliche Bände starken, in mehr als hunderttausend Exemplaren verbreiteten dritten Auflage spricht laut dafür, das der „Meyer“ unser Konversationslexikon geworden ist. Wol aber dürfte es interessant sein zu erfahren, wie er es geworden ist. An der Hand authentischer Notizen wollen wir deshalb unseren Lesern einen Blick in die Entstehungsgeschichte dieses trefflichen Werkes thun lassen.

Die erste Auflage des Neuen Konversationslexikons erschien innerhalb der Jahre 1857–60, die zweite 1862–69, die dritte, gänzlich umgearbeitete 1874–79. Auf diese letztere insbesondere beziehen sich unsere Mittheilungen.

Die erste Arbeit für die Ausführung einer neuen Auflage ist durchaus nicht literarischer Natur; sie wird vielmehr mit Scheere und Kleister ausgeführt. Da es unmöglich ist, jedem einzelnen der Mitarbeiter, die sich auf mehrere hunderte belaufen, ein vollständiges Exemplar der früheren Auflage zu übersenden und ihm zuzumuthen, das darin aufzusuchen, was er zu behandeln hat, so werden die sämtlichen einzelnen Artikel des Werkes – es sind deren beiläufig gegen siebzigtausend – herausgeschnitten und jeder einzeln auf Schreibpapier geklebt; viele große Artikel, an denen verschiedene Fachschriftsteller sich zu betheiligen haben, werden sorgfältig auch in eben so viele Theile zerlegt.

Mit diesem mechanischen Geschäfte, welches indessen viel Aufmerksamkeit erfordert, weil das Ausfallen einzelner Artikel für das Gelingen des ganzen Werkes höchst nachtheilig werden kann, verbringen einige Arbeiter eine ganze Reihe von Monaten.

Nachdem die eben beschriebene Thätigkeit der Buchbinder blattweise kontrollirt worden ist, liegt es einem durchaus kühlen und zuverlässigen Kopfe ob, die siebzigtausend Artikel Zeile für Zeile zu zählen, um danach feststellen zu können, welchen Umfang die nahezu hundert Fächer und Abtheilungen einnehmen dürfen, in welche das Gesamtgebiet der Wissenschaft für den vorliegenden Zweck zerlegt werden soll.

Auf meine Frage, was dieses Kleben und Zählen mit der Wissenschaft zu thun habe, antwortete mein Gewährsmann:

„Ich versichere Sie, es ist die Hauptsache. Denn ohne diese genaue Rechnung, ohne diese langweiligen Zahlen, ohne ganz bestimmte Gesetze über den Raum ist das Konversationslexikon nur dann eine Möglichkeit, wenn sich ein Publikum findet, das unbekümmert um die Zahl der Bände, erhaben über die Frage des Geldbeutels geduldig ausharrt, bis das Werk glücklich beim Z angelangt ist; möge es auch dreißig statt fünfzehn Bände haben. Was der Etat im Haushalt der Staaten, das ist der Raum beim Konversationslexikon. Wie bei jenem die einzelnen Positionen nicht überschritten werden dürfen, so muß auch hier jeder Mitarbeiter mit dem Raum auskommen, der ihm zugemessen ist. Dieses Maß aber zu bestimmen, und nach Wichtigkeit und Interesse des Gegenstandes im voraus auszumessen, ist ein Kunststück, zu dem nicht nur ein sicheres Urteil, sondern auch eine reiche Erfahrung gehört.“

Während diese doppelte Thätigkeit vor sich ging, haben auch der Herausgeber und sein Redaktionsstab keineswegs gefeiert. Die Grundsätze, nach welchen das Lexikon umzuarbeiten, zu erweitern und zu verbessern ist, sind in langwierigen Berathungen und oft sehr lebendigen Diskussionen besprochen und endlich festgestellt. Daran hat sich die Wahl der Mitarbeiter geschlossen, und an die besten unter den Empfohlenen sind Einladungen ergangen. Zur Antwort laufen abwechselnd bereitwillige Zusagen und kühle Ablehnungen ein; dazwischen auch freiwillige Anerbietungen von Unberufenen, die selten brauchbar sind.

Um die Gewähr einer sach- und fachgemäßen Ausführung des großen Unternehmens zu gewinnen und die Zersplitterung der Kräfte zu vermeiden, hat man die Errichtung von „Spezialredaktionen“ beschlossen. Die verwandten Fächer einer oder


  1. Vergleiche IV. Jahrgang, Seite 491 ff.
Empfohlene Zitierweise:
Robert Koenig: Wie ein Konversationslexikon gemacht wird. Velhagen & Klasing, Leipzig 1879, Seite 770. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Koenig_Wie_ein_Konversationslexikon_gemacht_wird_1879.pdf/1&oldid=- (Version vom 26.10.2023)