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Mich, die zu eurer Mutter der Rat
Des Anfangs schuf, die mit zagender Hand
Vom Herzen zurück euer Ahnherr stieß.
Doch wird mich fürder keiner erschaun,
Und keinen Geborenen führt der Weg
Zurück in die Heimat, die ich euch bot.
Mir bleibt nur das eine, als Mitgift euch
Zu leihen, daß manchmal ein ahnender Strahl
Des verlorenen Glücks eure Seele beschleicht –
Im Windesflug und im Wolkenzug,
Im undendlichen Blau und im wogenden Halm,
Im murmelnden Quell und im rauschenden Meer
Da streift ihr mein Haar und da wehet der Hauch
Meiner Lippen euch an.“ – Und eine Träne fiel
Aus Liliths Aug’ und brannte auf der Stirn
Der jungen Mutter. Es überkam
Das einsame Weib mit unendlichem Bangen,
Und sie griff in die heiße, verlangende Brust,
Und die ungeheure, die jamernde Sehnsucht
Warf sie hinein ins enge Menschenherz,
Das vor ihr in der Mutter Schoß empfangen,
Und rief; „Ich geb’ sie jedem, der mich sucht,
Zum Fluche, daß er elend sei wie ich!
Zum Segen, daß er götterähnlich sich
Im Schmerze fühl’ wie ich!“ – Sie rief’s und floh.
Auf fuhr verstört das erste Menschenpaar
Aus schwerem Traum. Im Schweiß des Angesichts
Warb es sein Brot, und dunkle Sage klingt
Nur hie und da im Menschenleben auf
Von eines Weibes Wunderherrlichkeit,
Das eine qualverstummte Menschenbrust
Mit überirrdisch wilder Glut verbrannte,
Und ihre Asche zu den Göttern trug.[1]

Der geistreiche und formgewandte Deutschschweizer G. Widmann. der recht lange nicht die längst verdiente Anerkennung gefunden, hat in seiner kostbaren Dichtung „Der Heilige und die Tiere“ (Frauenfeld 1906) der Lilith ausführlich gedacht und ihr durch den Wüstengeist


  1. Wilhelm Jensen, Gedichte. Stuttgart 1869.