Anonym: Knacker-Ede (Zeit im Bild, Jahrgang 1907) | |
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Knacker-Ede freute sich. Er hatte aber auch wirklich Glück gehabt. Bei seinen Vorstrafen hatte er sicher auf „Zett“[1] gerechnet und was war geworden: Dreizehn Monate Gefängnis hatten sie ihm aufgedrückt. Er hatte wirklich Schwein gehabt. Nun konnte ja die Geschichte nicht mehr schlimm werden. Wenn die anderen Kisten[2] nun auch wirklich noch nachkamen, dann konnte es höchstens ’ne Zusatzstrafe geben. Und wenn’s auch wirklich noch ein paar Monate gab, so würden es doch höchstens zwei Jemmchen[3] werden und er hatte auf ’en Stücker fünf Jahre Zuchthaus gerechnet. Ja, ja, Glück mußte der Mensch haben, philosophierte Knacker-Ede.
Knacker-Ede hatte aber noch mehr Glück. Eines Tages ging es vor den Untersuchungsrichter. Noch eine ganz alte Geschichte war ans Tageslicht gekommen. Ach, du lieber Gott. Knacker-Ede wurde ordentlich rot, als der Untersuchungsrichter sagte:
„Damals waren Sie noch unbestraft?“
„Jawohl, Herr Untersuchungsrichter. Das war’n schöne Zeiten. Aber lang, lang ist’s her.“
„Na, jedenfalls ist es weiter nicht schlimm. Gestehen Sie die Sache nur ein, dann brauchen Sie gar nicht zum Termin kommen, dann werden Sie in contumaciam verurteilt und da gibt’s höchstens 6 Wochen.“
Knacker-Ede gestand aber nicht ein.
„Wo wer’ ick denn, Herr Untersuchungsrichter, wo ick det doch jar nich jewesen bin.“
Fast liefen ihm die Tränen über die Backen.
„Na, Bärmann, nun tun Sie man nicht so, es ist doch Ihr Vorteil. Sie werden ja doch in Anbetracht Ihrer Vorstrafen verurteilt und nachher wird es um so schlimmer.“
Knacker-Ede wurde erregt:
„Ja, so machen se’t immer. Und det nennen Se nachher Gerechtigkeit. Aber ick bin et doch nicht jewesen.“
Der Untersuchungsrichter wurde nervös, zuckte die Achseln und ging fort. Knacker-Ede hatte nicht eingestanden und eines Tages hieß es, er käme auf Transport.
Er jubelte. Jetzt würde es glücken. Der Transporteur kam einen Tag vorher und nahm die Personalbeschreibungen auf.
„Na, Sie werden doch nicht ausrücken?“
Mit dem unschuldigsten und dummsten Gesicht, das Knacker-Ede aufstecken konnte und mit dem schüchternsten Tonfall in der Stimme sagte er:
„I wo wer ick denn. Wo ick et doch jar nich jewesen bin.“
„So, sind Sie unschuldig?“ frug der Transporteur merklich freundlicher.
„Wie en kleenet Kind.“
„Na, werden ja sehen. Jedenfalls kann ich in Zivil kommen.“
„Ach ja, bitte, Herr Transporteur.“
Der Transporteur kam in Zivil. Auch Knacker-Ede hatte seine Zivilkleider an und machte einen ganz netten Eindruck. Der Transporteur nahm die Kette raus und wollte Knacker-Ede schließen.
„Ach, nicht doch, Herr Transporteur, sehen Se mal, da wo wer hinkommen, wohnt mein Oller. Da kennt mich jeder Mensch, wat sollen die bloß denken, det jeht ja nich.“
Und Knacker-Ede fing an zu weinen. Richtige reelle Tränen brachte er hervor. Dem Transporteur wurde weicher ums Herz und er wandte sich an den dabeistehenden Hausvater. Der zuckte die Achseln.
„Schließen ist Vorschrift.“
„Ick weeß ja, ick weeß ja,“ heulte Knacker-Ede. „Sie können mir ja auch schließen. Bloß da nich, wo wer hinkommen.“
Anonym: Knacker-Ede (Zeit im Bild, Jahrgang 1907). Berliner Central-Verlag, Berlin 1907, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Knacker-Ede.pdf/1&oldid=- (Version vom 1.8.2018)