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Sie ruderten beide aus allen Kräften Tag und Nacht, und ihr kleines Schiff flog so schnell dahin daß sie früher als das andere bei dem alten Könige anlangten. Er verwunderte sich als er sie allein kommen sah, und fragte was ihnen begegnet sei. Als er die Bosheit seiner Tochter vernahm, sprach er „ich kanns nicht glauben, daß sie so schlecht gehandelt hat, aber die Wahrheit wird bald an den Tag kommen,“ und hieß sie in eine verborgene Kammer gehen, und sich vor jedermann heimlich halten. Bald hernach kam das große Schiff herangefahren, und die gottlose Frau erschien vor ihrem Vater mit einer betrübten Miene. Er sprach „warum kehrst du allein zurück? wo ist dein Mann?“ „Ach, lieber Vater,“ antwortete sie, „ich komme in großer Trauer wieder heim, mein Mann ist während der Fahrt plötzlich erkrankt und gestorben, und wenn der gute Schiffer mir nicht Beistand geleistet hätte, so wäre es mir schlimm ergangen; er ist bei seinem Tode zugegen gewesen, und kann euch alles erzählen.“ Der König sprach „ich will den Todten wieder lebendig machen“ und öffnete die Kammer, und hieß die beiden herausgehen. Die Frau, als sie ihren Mann erblickte, war wie vom Donner gerührt, sank auf die Knie, und bat um Gnade. Der König sprach „da ist keine Gnade, er war bereit mit dir zu sterben, und hat dir dein Leben wieder gegeben, du aber hast ihn im Schlaf umgebracht, und sollst deinen verdienten Lohn empfangen.“ Da ward sie mit ihrem Helfershelfer in ein durchlöchertes Schiff gesetzt, und hinaus ins Meer getrieben, wo sie bald in den Wellen versanken.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1843). Göttingen 1843, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_Grimm_1843_I_105.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)