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Betschuanen, einem Wandervolk in Südafrika, bekannt geworden sind, einen nicht wegzuleugnenden Zusammenhang mit deutschen, während ihre eigenthümliche Auffassung sie wiederum von ihnen trennt. Dagegen in den nordamerikanischen habe ich wenigstens keine so bestimmte, ins Einzelne gehende Übereinstimmung gefunden. Einige Berührung zeigen tibetische Märchen, wie finnische: deutliche Verwandtschaft tritt hervor in den indischen und persischen, entschiedene in den slavischen: ein croatisches erzählt sogar von der Wanderung Gottes und des heil. Petrus (vergl. Vogls Großmütterchen S. 27 mit Nr. 82), wovon sonst nur die Deutschen wissen. Am nächsten rückt sie vor in den romanischen: die Verbindungen, in welchen beide Völker zu allen Zeiten gestanden und die Vermischungen die schon frühe statt gefunden haben, erklären hinlänglich diese große Übereinstimmung. Hat sich doch das umfangreiche, ursprünglich deutsche Thierepos nur in französischen Dichtungen erhalten, die es von den Franken geerbt haben. Die deutschen Märchen, glaube ich, besitzen nicht nur der nördliche und südliche Theil unseres Vaterlandes, sondern auch die nahverwandten Niederländer, Engländer und Skandinavier in völliger Gemeinsamkeit; die neuesten Sammlungen gewähren davon Überzeugung. Es ändert nichts, wenn, wie auf hohen Gebürgen oder in versumpften Niederungen nicht alle Pflanzen fortkommen, hier und da eine kleinere oder größere Anzahl abgestorben ist, ebenso wenig, wenn die verschiedene Natur des Landes und die darauf gegründete Lebensweise und Sitte auf die äußere Gestaltung Einfluß geübt hat.

Es ist erfreulich daß die Deutschen das Thiermärchen noch immer in seinem ursprünglichen Geist hegen, ich meine in der unschuldigen Lust an der Poesie, die keinen andern Zweck hat als sich an der Sage zu ergötzen und nicht daran denkt eine andere Lehre hinein zu legen als die frei aus der Dichtung hervorgeht. Reiner und volksthümlicher als wir haben die nach Siebenbürgen vor etwa siebenhundert Jahren ausgewanderten Niedersachsen in ihrer Abgeschlossenheit die Überlieferung bewahren können. Die Ehsten stehen uns zur Seite, wohl auch die Russen und Serben, wenn man nach einer in Reinhart Fuchs (CCXCI) mitgetheilten Erzählung urtheilen darf. Schade daß die Sammlung von Wuck sich nicht darauf ausgedehnt hat. Bei den Finnen ist einiges zum Vorschein gekommen. Bei den Wenden in der Lausitz läßt der großen Übereinstimmung wegen deutscher Einfluß sich vermuthen. Die unter dem Namen Hitopadesa bekannte Sammlung

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_412.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)