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110.
Der Jud im Dorn.

Eine mündliche Erzählung aus Hessen leitet anders ein. Der Vater entläßt seine drei Söhne die auf drei Wegen in die Welt ziehen. Dem einen begegnet der gute Geist und schenkt ihm die drei Wünsche. Er wünscht einen Hut der aus der Irre auf den rechten Weg führt, einen Wünschring, eine Geige die alles zum Tanzen zwingt. Darauf die Begebenheit mit dem Juden und dem Richter. Endlich wünscht er sich an den Scheideweg mit seinen Brüdern zusammen und macht sie alle reich. Diese größere Verwickelung scheint aber den Eindruck mehr zu schwächen und eine andere ganz einfache mündliche Erzählung aus dem Paderbörnischen und die alten gedruckten Bearbeitungen, welche hier zu Grund liegen, wissen nichts davon. Albrecht Dieterich Historia von einem Bauernknecht und München, welcher in der Dornhecke hat müssen tanzen s. l. 1618. 8. (auf der Göttinger Bibl.), ein Lustspiel das aber vermuthlich im 16. Jahrh. verfaßt ist. Etwa gleichzeitig damit J. Ayrers Fastnachtsspiel von Fritz Dölla mit der gewünschten Geigen im opus theatricum Bl. 97–101. Bei Dieterich heißt der Bauernknecht ebenfalls Dulla (der Name erinnert an Till oder Dill Eulenspiegel, den lustigen Schalksknecht; vergl. das schwed. und altnord. Wort thulr homo facetus, nugator Spielmann), auch sonst stimmen beide sehr zusammen, so daß sie aus einer Quelle schöpfen konnten, schwerlich aber sich gegenseitig benutzt haben. Die Wünsche sind wie hier, statt des Juden haben beide einen klosterentlaufenen Mönch. Bei Dieterich hält er die erwähnte Kunst des Knechts für Prahlerei und spricht „in jener Hecke sitzt ein Rab, trifst du den mit deiner Armbrust, so zieh ich mich nackend aus und hol ihn hervor“. Bei Ayrer schießt er einen Vogel vom Baum; vom Kleiderausziehen ist keine Rede. Nach Albr. Dieterich die dänischen Reime om Munken og Bondedrengen (Nyerup Morskabsläsning 239–241). Eine Anspielung auf unser Märchen findet Wackernagel in dem Wachtelmäre; s. Maßmann Denkmäler 1, 112.

Die Sage vom Tanzen in den Dornen ist sehr verbreitet und greift in das Märchen vom Liebsten Roland (Nr. 56) ein. Für die mündliche Überlieferung wird eine von Otmar in Beckers Erholungen

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)