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Hof zu holen, die hacken den Baum um, auf welchem Allerleirauh noch immer fort schläft, doch fällt er langsam, so daß es keinen Schaden nimmt. Es erwacht ganz erschrocken, als es aber sieht daß es bei guten Leuten ist, bittet es sie möchten es mitnehmen. „Ja“, sagen sie, „setz dich da auf den Holzwagen, du Rauhthierchen“. Sie fahren an des Königs Hof, und es dient in der Küche. Als es die Suppe so gut gekocht hat, läßt es der König rufen und spricht „du bist ja ein schönes Kind, komm setz dich auf meinen Sessel“. Da legt er ihm seinen Kopf in den Schooß und spricht „laus mich ein wenig“. Das thut es und muß es von nun an jeden Mittag thun. Einmal sieht er dabei durch den Ermel das glänzende Sternenkleid durchblinken und reißt ihm den Mantel ab, sie steht nun da als die schönste Königstochter von der Welt. Nach einer dritten Erzählung aus dem Paderbörnischen stellt sich Allerleirauh stumm. Der König schlägt sie einmal mit der Peitsche, da bekommt der Rauhmantel einen Ritz, durch den das Goldkleid schimmert. Der König reißt ihn größer, und so wird sie entdeckt. Auch folgt in beiden Erzählungen die Strafe des Vaters. Er muß sich selbst das Urtheil sprechen, daß er nicht länger verdiene König zu sein. Eine vierte Erzählung leitet anders an. Allerleirauh wird von einer Stiefmutter vertrieben, weil ein fremder Königssohn nicht ihrer rechten Tochter, sondern jener einen Treuring geschenkt hat. Allerleirauh kommt hernach an ihres Geliebten Hof, thut gemeine Arbeit und putzt ihm die Schuhe, wird aber entdeckt, indem sie den Treuring unter das Weißbrot legt, wie in einer andern Sage der Ring in die Kraftbrühe gelegt wird (Musäus 2, 188). Wenn der König nun diejenige heirathen will, die solche Haare hat wie die verstorbene Königin, so erinnert dies an einen Zug aus der färöischen Sage, wo der verwittwete König nur die zur Ehe nehmen will, welcher die Kleider der verstorbenen Königin passen (Sagabibliothek 2, 481). Verflacht ist die Überlieferung in einem Märchen aus dem Zillerthal bei Zingerle S. 231. Man vergleiche bei Meier Nr. 48 und bei Pröhle Märchen für die Jugend Nr. 10. Einige Verwandtschaft hat das Märchen mit dem vom Aschenputtel. Perrault’s Peau de’ane gehört hierher, auch das Märchen von Doralice bei Straparola (1, 4), besonders die Einleitung desselben. Im Pentamerone die Bärin (2, 6). Walachisch die Kaisertochter im Schweinestall bei Schott Nr. 3.

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_116.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)