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5) Fällt Schnee, so sind es Federn aus dem großen Bett, das dem lieben Gott aufgegangen ist; oder Frau Holle macht ihr Bett. Hierzu gehört eine merkwürdige Stelle Herodots (Melpom. c. 7. und 31.) wonach bereits die alten Skythen den schneienden Himmel voller Federn glaubten.

Vom wehenden Schneien in großen Flocken: „Müller und Becker schlagen sich einander.“ (I. Paulus Fixlein p. 91.) Der Schnee ist Mehl. Hier wird vielleicht eine Stelle Rumelands (alt Meistersgesangbuch CCCXXII.) klar:

swan so der sne gevallen ist, so hor ich das vil dicke
man sprichet: gib den wynden brot, er hat gesnyget!
swer syne guten wynde laz in hungernot verderben den sumer lang,
der mac des winters in dem sne vil lutzel mite ir (? in) erwerben, ir macht ist krank.

soll hier der fallende Schnee das Mehl bedeuten, woraus man den hungrigen Winden Brod backen solle? Daß die Winde hungrig, vielfressend sind, erhellt aus der nordischen Mythe, Vafthrudnismal 37; der Wind heißt Hräsvelgr, cadaverum lielluo (svelgia, schwelgen, svelta, hungern) oder vielmehr: er kommt aus den Adlerflügeln des Hräsvelgr. Er ist also ein Vogel und dies bestätigt der latein. Name aquilo, der nach Festus a vehementissimo volatu ad instar aquilae benannt wird, im Grund aber der Adler selbst ist, denn wie dieser der Vögel König, so ist aquilo der Winde König. Besondere Erläuterung gewährt aber, was Prätorius in s. Weltbeschreibung 1, 429 berichtet: „zu Bamberg in Franken zur Zeit eines starken Windes hat ein alt Weib ihren Mehlsack in die Hand gefaßt, und denselben aus dem Fenster in die freie Luft nebenst diesen Wörtern ausgeschüttet:

lege dich, lieber Wind,
bringe das deinem Kind!

sie wollte hiermit den Hunger des Windes stillen, da sie glaubte derselbige wüthe darum, wie ein fräßiger Löwe, oder ein grimmiger Wolf.“

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1812). Berlin 1812, Seite LIX. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1812_I_447.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)