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bei der Lüge beharren. Aber die Königin war nicht zu bewegen, und blieb bei ihrer Aussage. Da verließ sie die Jungfrau Maria, und nahm das jüngste Kind auch mit sich.

Der König konnte nun seine Räthe nicht länger zurückhalten, sie behaupteten, die Königin sey eine Menschenfresserin, das sey gewiß, und weil sie stumm war, konnte sie sich nicht vertheidigen, da ward sie verdammt auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Wie sie nun darauf stand, angebunden war, und das Feuer rings schon zu brennen anfing, da ward ihr Herz bewegt und sie gedachte bei sich: „ach, wenn ich auch sterben müßte, wie gern wollt’ ich der Jungfrau Maria vorher noch gestehen, daß ich die verbotene Thüre im Himmel aufgeschlossen habe, wie hab’ ich so bös’ gethan, das zu leugnen!“ Und wie sie das gedachte in dem Augenblick, da that sich der Himmel auf, und die Jungfrau Maria kam herunter, zu ihren Seiten die beiden ältesten Kindern, auf ihrem Arm das jüngste; das Feuer aber löschte sich von selbst aus, und sie trat zur Königin und sprach: „da du die Wahrheit hast sagen wollen, ist dir deine Schuld vergeben,“ und reichte ihr die Kinder, öffnete ihr den Mund, daß sie von nun an sprechen konnte, und verlieh ihr Glück auf ihr Lebtag.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1812). Berlin 1812, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1812_I_013.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)