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Noch war sie jedem Nerv, jedem Blutstropfen in Günther ein Lebensbedürfnis. Aber schon der Gedanke, daß das anders kommen könnte, nagte in schlaflosen Nächten an Mareilens selbstbewußtem Herzen.

Günther lebte in dem grauen, herbstlichen Berlin ein wildes Junggesellenleben, das ihm selbst zuwider war. Allein, was sollte er mit einem Leben anfangen, in welchem er weder rückwärts noch vorwärts zu schauen wagte? Er spielte und trank. Der einzige Zweck dieses Daseins war Mareile. Sie war für ihn das wirkungsvollste Betäubungsmittel. Er liebte sie, wie wir unsere Sünde lieben, und es kränkte ihn, daß sie ruhig, stark, harmonisch sein wollte. Krank am Leben, wie er, sollte sie sein. Sie sollte sich für ihn verderben, wie er sich für sie verdarb.

„Ich weiß nicht,“ sagte er eines Nachmittags, als er in Mareilens Wohnzimmer saß und verstimmt auf die Straße hinabschaute, „zuweilen ist’s bei dir so – so –“

„Sag’s nur,“ meinte Mareile und lächelte. Ihr Wollenkleid in sterbendem Grün, mit großen, fliederfarbenen Mohnblüten gemustert, stimmte hübsch zu dem verschleierten Novembertage. Günther suchte nach dem rechten Wort. „Wie – wie ein Sonntagnachmittag bei einer Majorswitwe.“ Er wollte Mareile ärgern, aber sie strich ihm nur leicht über das Haar und sagte: „Du Armer!“ Das machte Günther weich.

„Ach, wollen wir fortgehen – irgendwohin, wo es still und heiß und blau mit Gold besetzt ist.“

Mareile schüttelte den Kopf.

„Warum?“ fragte er böse.

„Weil ich arbeiten muß,“ meinte sie.

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 128. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)