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bei alledem am tiefsten. Aber Leiden! Mein Gott! Die kann keiner uns abnehmen. Nicht wahr, mein Herz? Aber hier … nein, sage nichts! Wir wissen, was hier vorgeht.“

„Was wißt ihr?“ fragte Beate feindselig. Sie entzog der Fürstin ihre Hand, rückte von ihr fort. Die Fürstin weinte. Aus ihren hellblauen Augen rannen schnell kleine, blanke Tränen. „Was Schmerz ist, das weiß ich,“ meinte sie. „Enttäuscht werden ist ja mein Gewerbe. Aber davon ist jetzt nicht die Rede. Dir helfen, das ist jetzt unsere Aufgabe. Hier, in der ganzen Gesellschaft sehn wir deine Sache als unsere Sache an. Wir stehn alle auf deiner Seite, da kannst du ruhig sein. Auch alle unsere Herren. Blankenhagen sagte gestern: „Der Tarniff muß zur Ordnung gerufen werden.“ Glaub’ mir, etwas gesellschaftlicher Druck richtet viel aus. Das verstehn die Männer. Ich sag’ dir, Beating, Mitleid für dich und Entrüstung gegen die andere sind jetzt sozusagen die Leidenschaften unserer Gesellschaft. Von nichts anderem wird gesprochen.“

Beate kniff die Lippen fest aufeinander und machte ein böses Gesicht. Sie hörte mehr den eignen grollenden Gedanken als dem zu, was die Fürstin sprach. Was wollten all diese Menschen mit ihrem schamlosen Mitleid? Warum ließen sie sie nicht in Ruhe? Kannten sie denn nicht die Keuschheit der großen Leiden? Wußten sie denn nicht, daß nur die niedrigsten Menschen am Wege sitzen und den Vorübergehenden ihre Wunde zeigen? O Gott, wären sie doch fort, diese mitleidigen Seelen!

„Wenn du willst, mein Herz,“ klang wieder der Fürstin bedauernde Stimme an Beatens Ohr. „Wenn du willst,

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/125&oldid=- (Version vom 1.8.2018)