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„So, so, Doktor,“ sagte Günther zerstreut und nahm wieder sein unruhiges Hin- und Hergehen durch die leeren, sonnigen Zimmer des neuen Flügels auf. Als er Mareile dort traf, sagte er flehend: „Ich muß wieder unsere Stunde dort – bei uns haben. Nur Krankenstubendämmerung ertrage ich nicht.“

„Ja, die müssen wir haben,“ erwiderte Mareile ernst. So trafen sie sich in der Türkenbude.

„Zieh die Vorhänge vor das Fenster,“ befahl Günther, „von draußen kommt Traurigkeit herein.“ Die Liebenden drängten sich fest aneinander, sie wagten kaum, sich aus den Armen zu lassen, denn dann fielen unangenehme Gedanken sie an; Mareile sprach vom Schloß, von der Zukunft. Günther schloß müde die Augen. „Ach, so seid ihr Frauen. Für die Zukunft einhamstern. Was kommen wird? Ich weiß es nicht! Natürlich wird die Zukunft grau und unangenehm sein. Aber jetzt sind wir beieinander. Bitte, sei nicht bitter und enttäuscht und Mareile Ziepe! Nein, du findest heute nicht den Ton. Sprich heute nicht. Nimm dort das verstaubte kleine Buch und lies. Das sind Bücher, in denen frühere Mareilen gelesen haben, wenn sie hier auf Tarniffs warteten.“

Mareile nahm den kleinen Band zur Hand. Auf dem rosa Einband stand „Lucinde“. „Oh!“ sagte Mareile, „hier hat eine frühere Mareile etwas angestrichen.“

„Lies, lies.“

Mareile las: „Vernichten und Schaffen, eins und alles; und so schwebe der ewige Geist ewig auf dem ewigen Weltstrom der Zeit und des Lebens und nehme jede kühnere

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Eduard von Keyserling: Beate und Mareile. S. Fischer, Berlin [1903], Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Beate_und_Mareile.djvu/112&oldid=- (Version vom 1.8.2018)